Was beim Naturvergleich auch sehr gerne vergessen wird: In der Natur gibt es keine Wallache. Außerdem ist die Natur nicht die Idylle, von der wir gerne denken, dass sie es ist. Natur ist grausam und wer sich fortgepflanzt hat, der kann auch an Hufrehe sterben oder verhungern ohne dass es eine evolutionäre Sackgasse darstellt.
Um zur Natur als wackliges Modell für unsere Hauspferde zurückzukommen: Hengste haben einen deutlich höheren Grundumsatz als Wallache, da sie auch ohne jedes Training hormonbedingt mehr Muskelmasse besitzen, zudem sind sie häufig sehr viel aktiver. Stuten bekommen in freier Natur fast jedes Jahr ein Fohlen und auch wenn der Energiebedarf in der Trächtigkeit erstmal noch nicht so hoch ist, ist er in der Laktation dann sehr hoch. Dazu kommen Winter, in denen die Tiere häufig kaum etwas finden. Das 16 Stunden lang zufrieden grasende Pferd findet man also auch in der Natur höchstens im Frühjahr und Frühsommer vor. Danach werden die Ressourcen wieder knapp, nicht selten zu knapp.
Ich rede von der Faustformel 1,5kg/100kg KM übrigens mit dem Hintergrund eines 5,5 jährigen abgeschlossenen Tiermedizinstudiums, in dem ich alle Zusatzkurse zum Thema Fütterung belegt habe und ein Wahlpraktikum absolviert habe, in dem ich viel Ernährungsberatung machen durfte. Außerdem mache ich gerade meine Doktorarbeit im Fach Tierernährung, meine Doktormutter, die das Fach bei uns an der Uni unterrichtet, gilt als Koryphäe im Teilgebiet Pferdefütterung mit vielen internationalen Publikationen - ich kann also durchaus behaupten, dass ich etwas von dem verstehe, was ich schreibe.
In der Ernährungsberatung wird mit den Angaben Vollblut/Warmblut/Kaltblut/Robustpferd/Pony, Futtrigkeit leicht/normal/schwer, Arbeit keine/sehr leichte/leicht/mittel/schwer und Futterzustand dick/normal/dünn natürlich nochmal individueller gerechnet. Bei einem übergewichtigen, leichtfuttrigen Pony mit sehr leichter Arbeit kommt da aber garantiert kein Energiebedarf raus, der eine Ration mit mehr als 1,5kg Heu pro 100kg KM rechtfertigen würde.
Die benötigte Futtermenge berechnet man auch mit dem Soll-Gewicht, nicht mit dem Ist-Gewicht. Hätten wir unserem Fjord, als er vor über zwei Jahren zu uns kam, auf seine über 500kg eine Ration zurecht geschneidert, hätte er mit Sicherheit nicht wie gewünscht abgeommen. Sein Normalgewicht liegt bei ca. 400-410kg, derzeit hat er 420kg. 500kg ergäben ca. 7,5kg Raufutter als groben Richtwert, bei 400kg sind es nur noch ca. 6kg. Das macht in der Energiebewertung einen riesen Unterschied, denn wer dauerhaft 25% mehr an Energie aufnimmt als er reell braucht, der wird zunehmen.
Unsere beiden eigenen Wallache haben durch den individuell auf sie zugeschnittenen Ernährungsplan wunderbar abgenommen, Arbeit hat da aus Zeitmangel leider eine sehr geringe bis keine Rolle gespielt. Was natürlich nicht heißen soll, dass man Arbeit nicht in die Diät miteinbeziehen sollte - das macht auf jeden Fall Sinn, alleine schon damit das Pferd nicht an Muskelmasse verliert sondern bestenfalls sogar welche aufbaut, die dann wiederum den Grundumsatz steigert. Aber wer hat schon die Zeit sein Pferd konsequent jeden Tag 1-2 Stunden in allen Gangarten zu bewegen?
Wir Clickerleute sind doch beim Thema Training so wissenschaftsaffin und kritikfähig - ich verstehe immer nicht so ganz, warum das beim Thema Fütterung oft so gar nicht der Fall ist. Es gibt sicher auch noch ganz viel Ungewisses in der Tiernernährung worüber man sich streiten kann, aber die Energiebewertung gehört da nicht dazu.
Wenn sich jemand unsicher ist, wie er sein Pferd bedarfsgerecht ernähren soll, dann kann ich auch nur immer wieder empfehlen sich an einen Fachtierarzt für Tierernährung oder einen der Lehrstühle für Tierernährung zu wenden. Da wird seriös und markenunabhängig beraten.