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Paradoxe Intervention

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Steinchen
*

Paradoxe Intervention
« am: 15. Dezember 2009, 22:55:41 »
Erstellt am: 03 Jan 2009 18:13

Hallo!

Robin zeigt im neuen Platz, dass sich viele Probleme unter den neuen Haltungsbedingungen, mit Zeit, Ruhe und Geduld fast von selber lösen werden. Trotzdem gefällt mir nicht, dass er durch die Verladesituationen nun gelernt hat, sich rückwärts zu entziehen. Das möchte ich wieder rausbekommen.

Leider hab ich mal wieder unnötig zusätzlich rumgeschwafelt....aber vielleicht isses ja trotzdem für den ein oder anderen interessant.(ich kann nicht anders :oops: ) Könnt es ja auch in Smalltalk verschieben, oder wo es halt hinpasst.

Heute hab ich ihn beim Fressen so gestellt, dass er keinen Sichtkontakt auf die Weide hatte und es war ihm schnurz. Hinter ihm ritt jemand im Reitplatz, aber auch das war nicht beguckenswert.  Einmal erschrak er, als im Hof irgendwas flog, machte einen Hüpfer am Standort, relaxte sofort wieder und fraß weiter.
Am Ende drehte er in gewohnter Manier den Eimer um und suchte sich die Reste am Boden zusammen.
Hihi, die Stallbesitzer bemerkten freundlich, dass er das immer so macht. Kennen ihn nun erst seit knapp zwei Wochen und ich finde das sehr aufmerksam.

Anschließend brachte ich ihn in den Auslauf zurück und wollte mit ihm eine Runde in der Ruhehalle drehen. Wir kamen genau bis an die Stelle, wo wir anfangs den Stromzaun einhängten, als wir ihn zum Füttern separat gestellt hatten. Keinen Zentimeter weiter.
Robin stemmte die Füße in den Boden und stand und stand und stand......und stand.
Auf einen leichten Impuls am Strick reagierte er. Allerdings in die falsch Richtung, nämlich zielstrebig, geschmeidig rückwärts....grins....
"Nöööö, Frauli, gefressen hab ich schon und Null Bock auf potentielles Weggesperrt werden", ...wollte er vielleicht damit ausdrücken.......?????......
Ich bin der Einstellung, dass der "Freizeitbereich" der Pferde nicht mit zwanghafter Arbeit belegt sein sollte (wie sich herausstellte, der Stallbesitzer ebenfalls) und ich wollte Robin trotzdem soweit bringen, mir  in die Ruhehalle zu folgen.
Es gäbe mehrere Möglichkeiten, die sich im Grunde daraus ergeben, wie man das Verhalten interpretiert und welche Intention man verfolgt.
-Eine Möglichkeit wäre gewesen, ihn mit einem strengen "Vooorrwärts" und treibendem Anklopfen mit dem Strick am Hinterteil, in die geforderte Richtung zu bewegen.
-Weiter könnte man jede "widersätzliche" Rückwärtstendenz mittels körperlichem Impuls sanktionieren.
- Rückwärtstreten zur Strafe fordern, bis er lieber vorwärts geht.
- Ausprobieren, solange ruhig stehen zu bleiben, bis er es sich anders überlegt und es ihm zu blöde wird, wobei dabei die Passivität des Führers auch das Gegenteil bewirken könnte, nämlich, dass er sich entscheidet, nicht nur rückwärts zu gehen, sondern seinerseits ignorant in Richtung Pferde zu ziehen.
-Versuchen in weiterhin mittels leichter Vorwärts-Impulse über den Strick am Halfter, in Bewegung zu bringen, wobei jedoch damit genau das Gegenteil erreicht werden kann, da er damit zuvor den Erfolg hatte: "Ich kann rückwärts gehen und komme von der ungeliebten Stelle weg...Ätsch!"
-Natürlich könnte man auch mittels CT erfolgreich an die Sache rangehen.
usw.


Der Phantasie, dem Wissen und dem Können sind bei der "Problembewältigung" dabei keinerlei Grenzen gesetzt.

Meine Absicht war: Er soll mir freiwillig, gerne folgen, genau dahinein, um ihn drinnen frei zu geben, damit er weiß, er wird nicht mehr eingesperrt.

In solchen Situationen hab ich bei scheinbaren "Sturköpfen", (wie es oberflächlich betrachtet aussieht), sehr oft die besten Erfolge mit paradoxer Intervention erreicht.
Also: Kommunikation nicht abbrechen lassen, Aufmerksamkeit erhalten und ihn für die Reaktion, trotz Aufforderung nach hinten zu gehen, gelobt.
Ihn dann kurz stehen lassen, ohne Druck noch einen Schritt rückwärts machen lassen, wieder gelobt und so sind wir vorerst fast den halben Platz rückwärts marschiert. Jedesmal, wenn er rückwärts ging, tat ich das ebenso und lobte ihn.
Dann fing er wieder an, auf mein Vorwärtstreten Schrittweise zu folgen und  am lockeren Strick, ohne Impuls, ging er mit in die Ruhehalle.
Ziel erreicht: Robin folgte freiwillig durch die Lamellen, hinein in die Ruhehalle, drin abgehängt, wobei er ohne Aufforderung ruhig stehenblieb, bis ich mit ihm wieder rausging.

Auf diese Weise kann man unerwünschtes Verhalten in vielen Bereichen kontrollierbar und gezielt steuerbar machen UND es führt weder zu Vertrauensverlust - weil dabei ausschließlich positiv gelobt wird -
noch zu Dominanzproblemen - weil man, korrekt durchgeführt, sein Ziel erreicht:
Freiwilliges Folgen im Vertrauen auf die Führung, auch in brenzligen Situationen.
Ist allerdings nur empfehlenswert für Menschen, die Ursachen Zusammenhänge, und Ausdrucksverhalten des Pferdes gut einschätzen können und nicht zu ungeduldigen Spontanreaktionen neigen,auch nicht unter Zeitdruck stehen.
Natürlich ebenfalls nicht in jeder Situation anwendbar, wie zB. hinten Stacheldraht und vorne ein Angstobjekt.
Da gilt dann das Motto: "Was muß, das muß!".....lach...
Zudem ist Kenntnis der Lerntheorie angebracht, weil man sonst unter Umständen ausgerechnet Fehlverhalten bestärken könnte, wenn man in der Situation nicht in der Lage ist, sie bewußt zielgerichtet zu steuern, quasi zu manipulieren.
Die Methode der paradoxen Intervention wird auch in der Pädagogik und systemischen Therapie erfolgreich angewandt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Paradoxe_Intervention

Und Robin fröhnt nun wieder dem Pferdeleben, mit Heubauch, viel Bewegunsgspielraum und netten Kameraden!
Viel Spaß soll er haben.........ich hatte ihn heute mit ihm auch wieder!

LG, Angie
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Re:Paradoxe Intervention
« Antwort #1 am: 15. Dezember 2009, 22:56:13 »
Hallo Angie,

und schon wieder kramt Esther ein altes Thema hervor..... :roll:

Ich finde das, was Du da beschreibst, sehr interessant! Keine Angst, ich will das nicht bei nächster Gelegenheit "mal ausprobieren", aber besser verstehen will ich es trotzdem.

Hast Du ihn dabei rückwärts "geschickt" (wenn auch ohne großartig Druck zu machen) oder hast Du ihm das Signal für's Vorwärtsgehen gegeben, aber trotzdem jedes Zurück belohnt, oder hast Du einfach gewartet, bis er von sich aus einen Schritt rückwärts gemacht hat? Und wie lange hat das ganze ungefähr (über den ganz dicken Daumen gepeilt) gedauert?

Hach, ich finde das Forum richtig klasse, so viele spannende Beiträge!  :)

Viele Grüße,
Esther
Viele Grüße,
Esther
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Steinchen
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Re:Paradoxe Intervention
« Antwort #2 am: 15. Dezember 2009, 22:57:20 »
erstellt am: 06 Okt 2009 17:26

Hallo Esther!

Hatte ganz Deine Fragen übersehen und gerade erst entdeckt. Sorry!
Ich habs mir irgendwo aufgeschrieben, wie es genau ablief und geh demnächst suchen. Muß jetzt inne Arbeit!

LG, Angie
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Re:Paradoxe Intervention
« Antwort #3 am: 14. Juli 2012, 17:32:22 »
Hallo

nun bin ich hier mehr durch Zufall gelandet und find es etwas schade, dass keine Antwort mehr kam.
Hab ja selber so ein Modell, das nur allzugerne parkt, rückwärts latscht auf Impuls und bei Passivität seines Weges geht, egal ob da ein Mensch am Strick hängt oder nicht ;) So langsam hab ich es mehr oder weniger im Griff, aber manchmal gibts immer noch Situationen (superselten gottseidank..) wo nichts hilft und es eskaliert.
Mich würden deswegen die Details dazu auch sehr interessieren, oder auch weitere Erfahrungsberichte, positiv und negativ.

liebe Grüße
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Re:Paradoxe Intervention
« Antwort #4 am: 06. Februar 2013, 14:46:58 »
*rauskram*
So wirklich aufmerksam hatte ich das bisher gar nicht gelesen ... gibt es denn von anderen Seiten noch Erfahrungen damit?
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Ehemaliges Mitglied 160
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Re:Paradoxe Intervention
« Antwort #5 am: 06. Februar 2013, 15:15:49 »
Hmm ich hatte das auch noch nicht gelesen.
Aber wenn ich den Text aus wiki richtig verstehe,
bedeutet es wohl ungefähr, dass ich, wenn Phönix z.b. auf das Vorwärtssignal die Hufe in den Boden rammt,
ihn genau fürs Stehen bleiben lobe?
Ihm also im Umkehrschluss häufiger das Vorwärtssignal gebe und das Stehen bleibe dafür loben kann.
Erscheint mir seeeehr sonderbar!  :juck:
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Keshia
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Re: Paradoxe Intervention
« Antwort #6 am: 05. Januar 2014, 15:08:55 »
Nun krame ich auch mal hervor :-)

Ich denke, daß Steinchen mit ihrem Pferd an der Sympthomverschreibung gearbeitet hat. Hierbei wird eigentlich das Vorwärts gefordert, das Vorwärts wird aber ab einem bestimmten Punkt verweigert. Ab diesem Punkt wird nun genau das gegenteilige Verhalten gefordert/begrüßt/gelobt. Bitte rückwärts, bitte rückwärts, prima, toll! Damit wird im Pferd die Barriere abgebaut. Es bekommt nicht mehr den Druck unbedingt vorwärts gehen zu müssen, das Denken "mein Mensch möchte unbedingt, daß ich da jetzt vorwärts gehe" findet nicht mehr statt.
Nach einer Weile kann man erneut anfragen, ob vorwärts wieder geht, und da die mentale Barriere abgebaut wurde, hat dies oft auch Erfolg. Erfolgreiche Verladetrainer arbeiten auch zum Teil mit dieser Methode. Es wird darauf geachtet, dem Pferd nicht zu vermitteln, daß es nun unter allen Umständen auf bzw. in den Hänger muß, damit diese mentale Barriere sich nicht aufbaut. Auch innerlich gilt: Druck erzeugt Gegendruck.

Es wird also nicht nach dem Signal fürs Vorwärts das Stehenbleiben oder Rückwärts belohnt. Dies würde eine Umkonditionierung des Signals bedeuten. Es geht eher darum, daß in der Situation entschieden werden muß, ob das Pferd gerade Angst hat, etwas interessantes gesehen hat, etc. oder ob es mental blockiert ist, weil sich z.B. ein bestimmtes Verhalten mit dem eigenen Menschen bereits etabliert hat (und das Pferd z.B. mit einer anderen Person sofort mitgehen würde). Nur im letzteren Fall macht die paradoxe Intervention Sinn.
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Re: Paradoxe Intervention
« Antwort #7 am: 06. Oktober 2014, 17:57:28 »
Dies ist eindeutig ein Hervorkram-Thread... Schade eigentlich, wo das Thema doch so spannend ist!

Zitat
Es geht eher darum, daß in der Situation entschieden werden muß, ob das Pferd gerade Angst hat, etwas interessantes gesehen hat, etc. oder ob es mental blockiert ist, weil sich z.B. ein bestimmtes Verhalten mit dem eigenen Menschen bereits etabliert hat (und das Pferd z.B. mit einer anderen Person sofort mitgehen würde). Nur im letzteren Fall macht die paradoxe Intervention Sinn.
Warum? Also ich meine - warum macht diese Vorgehensweise bei Angst oder Ablenkung keinen Sinn?

Und noch eine Frage: ich versuche, beim Training die Aufgaben zu verwenden, die das Pferd gerade anbietet. Habe ich beispielsweise im Kopf, Anhalten zu üben und das Pferd will im Round Pen erst einmal laufen, frage ich Trab oder Galopp an; ist es damit "fertig", biete ich an, halten zu können. Das wird dann gerne oder zumindest lieber angenommen.
Gehört sowas auch in den Formenkreis "paradoxe Intervention"?

Beste Grüße,
Dörte.
Lieber breit grinsen als schmal denken!  (B.Berckhan)
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Re: Paradoxe Intervention
« Antwort #8 am: 23. Juni 2017, 21:52:04 »
Ich krame den Thread mal wieder raus, gerade entdeckt und für unheimlich interessant befunden.

Nach dem Eingangspost konnte ich der ganzen Sache noch nicht so vollständig folgen, aber nach der Erklärung von Keshia schon etwas mehr. Schade, dass beide Userinnen hier nicht mehr angemeldet sind...ich würde gerne noch viel mehr darüber erfahren  :)

Hat sich hier jemand im Stillen noch näher mit der Thematik beschäftigt?

Gerade für das Thema "Hänger" habe ich das Gefühl, dass uns diese Idee echt helfen könnte. Ich hatte ja schon beim letzten Mal Üben das deutliche Gefühl, dass ich ihm die ganze Sache noch zusätzlich enorm erschwere dadurch, dass ich immer im Kopf habe "Wir müssen jetzt weiterkommen, er muss jetzt mal rein gehen, er muss jetzt auch mal drinnen ruhig stehen bleiben können" usw. usf. Mental setze ich ihn da richtig unter Druck, wenn auch ungewollt :shy:
Da dachte ich schon, beim nächsten Hängertraining, da sollte ich uns mal als Ziel setzen, NICHT in den Hänger zu gehen. Sondern maximal irgendwo davor zu stehen. Und vielleicht ab und zu mal auf die Rampe. Aber auf keinen Fall in den Hänger rein. (Vielleicht einfach um da in meinem und seinem Kopf mal den Druck raus zu nehmen.)
Vom Gefühl her klingt das ja beinahe wie in diesem Thread beschrieben. Bis auf das Thema "Angst". Hier heißt es ja, bei Angst soll man dies nicht anwenden. Er hat (verständlicherweise, Vorgeschichte) Angst davor, im Hänger zu sein.
Jetzt wüsste ich gerne die Hintergründe dazu, warum man bei Angst nicht auf die paradoxe Intervention zurückgreifen soll? Denn vom Gefühl her - bevor ich davon überhaupt jemals gehört hatte - ging meine Idee zur nächsten Hängerübungsrunde ja in eine ähnliche Richtung. Deshalb finde ich dieses Thema sehr interessant  :nick:

« Letzte Änderung: 23. September 2017, 08:18:49 von Avaris »
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