Also, ich entschuldige mich schon mal vorab, dass es lang wird. Kurz ist mir irgendwie nicht in die Wege gelegt worden … Ich habe mir in den letzten Monaten sehr viel Gedanken um den Einsatz von negativer Strafe im positiven Training gemacht. Eigentlich seit die Hühnermodule populärer wurden und damit auch der „Stoff“ daraus Einzug in Foren und Gruppen gehalten hat. Ich habe diesbezüglich vor allen Dingen den Sinn hinterfragt und glaube, dass es vielen genau so geht wie mir. Nämlich der Gedanke, dass man Clickertraining damit ad absurdum führt. Positiv trainieren aber negative Konsequenzen bereithalten – geht das überhaupt? Diese Frage für mich zu klären war einer meiner Hauptmotivationen, selbst mal ein Hühnermodul zu besuchen… Von daher konnte ich vieles nun aufgrund der Erfahrung überdenken.
Traiing ganz ohne negative Konsequenzen ist meiner Meinung nach nicht möglich, wenn man es jetzt mal ganz streng sehen würde. Wenn mir zum Beispiel das "ruhig stehen" nicht ruhig genug ist, oder ein Verhalten nicht "richtig" genug ist, ist das Ausbleiben des erwarteten Clicks im Prinzip ja auch eine negative Konsequenz. Der Unterschied ist eben, dass man es nicht bewusst als Konsequenz bereithält und vor allen Dingen nicht noch zusätzlich etwas „kostet“ (nämlich Energie). Die Motivation eine Belohnung zu erhalten ist ja per se auch daran gebunden, dass ein falsches Verhalten keine Belohnung erbringt/die Belohnung ausbleibt. Das ist ja einer der Ansätze von Shaping. Ein Verhalten, das in einem Shapingprozess nicht belohnt wird, tritt weniger auf.
Per Definition ist eine Strafe dann eine Strafe, wenn sie dazu führt, dass das Verhalten weniger wird. Wir sind also gar nicht so weit weg davon …
Angenommen das Pferd hampelt vor dem Kompliment rum und ich erwarte, dass es zuerst stehen bleibt, entziehe ich dem Pferd die Möglichkeit, sich durch das Kompliment eine Belohnug zu verdienen. Das Signal gebe ich erst, wenn das Pferd höflich steht. Dadurch vermeide ich, dass ich das Rumhampeln vor dem Kompliment bestärke. Mir ist dabei nicht wichtig, das Pferd dafür zu bestrafen, dass es rumhampelt, sondern vor allen Dingen, nicht zu bestärken, dass es hampelt, indem ich das Signal zum Kompliment gebe. Das Stehenbleiben muss dabei deutlich als Stehenbleiben vom Pferd erkannt werden und ich gebe auch nicht das Signal zum Stehenbleiben, sondern ich setze es voraus und belohne es, indem ich das Signal für das Kompliment gebe. Die Pferde verhalten sich dann höflicher, weil sie wissen, vorher geht es nicht los.
Die Erweiterung dieser "negativen Strafe" des Stehenbleibens wäre für mich eine "Strafrunde". Die Strafrunde geht in meiner Vorstellung den Weg der Verhaltensökonomie und hält eine Konsequenz bereit, falls ich möchte, dass das Pferd in Zukunft ein bestimmtes Verhalten unterlässt. Ich möchte dem Pferd damit nicht nur mitteilen, dass sich ein anderes Verhalten (Alternativverhalten) mehr lohnt, sondern - und ich glaube, dass ist beim "Strafrunden Konzept" der wichtigste Ansatz - dass es das Pferd etwas kostet. Und da gehe ich eben nicht immer mit konform. Ich glaube nämlich nicht, dass ein Fehler das Pferd immer etwas kosten muss, damit das Pferd lernt, zukünftig die richtige Entscheidung zu treffen. Aber aus Sicht der Verhaltensökonomie erhöht es die Wahrscheinlichkeit, weil das Pferd zukünftig eine solche Maßnahme VERMEIDEN wird. Denn es kostet Energie, die es dringend benötigt (Fluchttier). Das ist natürlich sehr effektiv und führt unter Umständen schneller zum Erfolg. "Erfolg macht Spaß", da zitiere ich Nina. Ja, das kann ich nachvollziehen. Und gerade vor dem Agility Hintergrund, kann ich es nachvollziehen. Dort möchte man nicht mit unerwünschtem Verhalten "kämpfen" müssen. Man kann es nicht gebrauchen, wenn mehrere Pferde frei laufen. Insbesondere kann man es nicht gebrauchen, wenn das Pferd sich auf Gras auch noch bestärkt, wenn es z. B. wegläuft. Und man möchte vor allen Dingen unerwünschtes Verhalten nicht reparieren müssen, weil es Frust für Pferd und Mensch bedeuten würde - Kosten / Nutzen Rechnung. Für mich ist das ähnlich zu sehen wie in der Freiheitsdressur, in der häufig erstmal am Seil gearbeitet wird, damit das Pferd gar nicht erst lernt, dass sich weglaufen lohnt (bitte entschuldigt den Vergleich, er ist nicht wertend gemeint). Es ist aber ja sehr individuell, ob das in die eigene Philosophie passt.
Ich glaube, dass die Arbeit mit positiver Verstärkung und bewusst eingesetzter negativer Strafe als "Konzept" effizienter sein kann. Weniger Fehler, schnelleres und evtl. zuverlässigeres Ergebnis. Je nach Einstellung lässt sich der Einsatz solcher Maßnahmen rechtfertigen,(Kosten Nutzen Rechnung
), insbesondere, wenn man davon ausgeht, dass Erfolg glücklich macht. Aber das ist eben nur eine Interpretation. Genausogut könnte man ja davon ausgehen, dass solche Pferde besser "funktionieren" und deshalb engagierter sind, weil sie eben auch wissen, dass Fehlverhalten eine unangenehme Konsequenz hat. Oder man geht nur von Verhaltensökonomie und des Matching Law aus und spricht dem Pferd damit die Entscheidungsfähigkeit ab – Stichwort „freier Wille“.
Ich möchte meinem Pferd gerne mehr Zeit und Freiheit für Entscheidungen geben. Mir ist 100% zuverlässig nicht wichtig. Ich hege beim Agility z. B. keinen Leistungsgedanken, insbesondere keinen Wettbewerbsgedanken. Mir geht es um Spaß miteinander und den definiere ich eben nicht anhand von Erfolgsquoten, sondern anhand positiver Erlebnisse und Lernerfahrungen.
In meiner Philosophie komme ich auch ohne _gezielte_ Strafmaßnahmen oder zusätzliche unangenehme Konsequenzen aus, weil ich glaube, dass der richtige Aufbau Fehler vermeidet und das Matching Law mir eben auch hilft, dass das erwünschte Verhalten häufiger gezeigt wird (und unerwünschtes eben unterlassen wird).
Es kann sinnvoll sein, eine Übung abzubrechen und zu resetten und dafür einfach ein paar Schritte zu gehen. Das tue ich durchaus auch. Wenn ich merke, etwas ist zu schwer für das Pferd, das Pferd kann gerade nicht, ich kann gerade nicht oder irgendein anderer, undefinierter Grund, der dafür spricht, eine Übung vorzeitig zu beenden. Ich glaube, das hat jeder von uns schon erlebt. Dann empfinde ich einen solchen Abbruch aber nicht unbedingt als Strafe. Und es ist ja auch nur eine Hypothese, dass der nächste Versuch deshalb besser klappt, weil das Pferd nicht weitermachen "durfte" und deshalb bemühter ist.
Ende Teil 1