Clickerforum

Allgemeine Pferdethemen => Pferd allgemein => Thema gestartet von: noothe am 06. Februar 2023, 11:39:11

Titel: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: noothe am 06. Februar 2023, 11:39:11
Angeregt durch einen interessanten Gedankenaustausch an anderer Stelle, möchte ich hier mal einige Fragen in den Raum werfen. Im Pferdetraining (oder Tiertraining allgemein) wird oft der Begriff Vertrauen verwendet. Dabei kann es sich um ein Zielbild handeln ("Ich möchte, dass mein Pferd mir vertraut"), eine vermeintliche Ursache ("Dein Pferd vertraut dir nicht genug, um XY zu machen"), eine Metapher wie das Vertrauenskonto ("Einzahlen bei schönen Erlebnissen, Auszahlen bei TA und Co."), eigene Gefühle ("Ich vertraue der Situation nicht") und vieles mehr.

Wie definiert ihr für euch Vertrauen? An welchen Dingen macht ihr Vertrauen fest? Nutzt ihr Bilder, wie das Vertrauenskonto? Und hilft euch der Gedanke "mein Pferd vertraut mir" allgemein oder situationsspezifisch? Oder lähmt der Gedanke vielleicht eher? Welche Beispiele habt ihr für Situationen, in denen ihr euch und eurem Pferd quasi die Vertrauensfrage gestellt habt? Gibt es einen Mangel an Vertrauen im Sinne von einer 0-100% Skala? Und wie würde die für euch aussehen?

Ich würde mich über einen regen Austausch freuen :keks:

Das Thema habe ich jetzt erstmal im öffentlichen Bereich erstellt, wir können es aber jederzeit auch gerne in den internen Bereich verschieben.
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Rüsselnase am 06. Februar 2023, 12:52:34
Kann ein Tier überhaupt den menschlichen Begriff des Vertrauens erfassen?

Gerade gestern war ich in einer Situation, in der das Vertrauen hätte da sein dürfen. Oder war es das vielleicht sogar?
wir waren spazieren, es knatterte fürchterlich - jemand hat in unmittelbarer Nähe zu uns Knallkörper gezündet. Nicht sichtbar, aber überdeutlich hörbar. Fluchttier Pferd möchte verständlicherweise weg und wir sind halbwegs geordnet (Lucca im Trab mit Kopfschlenkern, weil er gerne schneller wollte) nach Hause. Jetzt könnte man sagen: "Der vertraut mir nicht, sonst wäre er ruhigen Schrittes da durch". Oder umgekehrt: "Der vertraut mir, sonst hätte er sich losgerissen und wäre einfach ohne mich heimgerannt". Beides sicher irgendwo richtig, und beides auch gleichermaßen falsch.

Vertrauen ist für mich die Gewissheit, dass XY passiert - oder eben nicht passiert. Ich vertraue darauf, dass mein Arbeitgeber mir jeden Monat mein Gehalt überweist, sofern ich die vertraglich vereinbarte Leistung erbringe. Ich vertraue darauf, dass mein Mann mir nicht absichtlich wehtut. Ich vertraue darauf, dass ein Arzt die Ursache für meine Beschwerden findet und mir helfen kann (ok, meistens...manchmal  :lol: ).
Im Pferdebereich vertraue ich darauf, dass Lucca für sein Verhalten (erwünscht wie nicht erwünscht) Gründe hat, also dass er nicht willkürlich handelt. Da vertraue ich auf mein Wissen, dass Tiere kognitiv nicht in der Lage sind, "hinterfotzig" zu handeln. Die Gründe sind nicht immer klar zu erkennen, aber es gibt sie. Und ich sollte darauf vertrauen können, dass ich als Pferdebesitzer in der Lage bin, mein Pferd soweit zu kennen, dass ich entsprechend fair zu ihm bin und seine Bedürfnisse bestmöglich erfüllen kann.

Vertrauen ist also an eine gewisse Vorhersehbarkeit/ Berechenbarkeit geknüpft. Und ich denke, dass Berechenbarkeit ein Faktor ist, den Tiere durchaus erfassen können. Auf das Ereignis gemünzt: Die Knallerei war unvorhersehbar, daher für Lucca eine potentielle Gefahr. Die Vergangenheit zeigte aber meistens, dass ich möglichst stabil bleibe (also nicht wild und hektisch herumwusel) und einen Ausweg aus der Situation suche. Lucca weiß das, somit "vertraut" er darauf, dass die Wahrscheinlichkeit auch hier recht hoch ist, dass es so passieren wird. Andererseits ist eben ein "möglichst" und "wahrscheinlich" keine Garantie, also verlässt sich mein sehr instinktlastiges Pony im Zweifel auf sich selbst.
Auch das Vertrauenskonto ist für mich "nur" eine vermenschlichte Maßeinheit für die Berechenbarkeit des Menschen bzw. des Tieres  :nick:
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Romy am 06. Februar 2023, 13:34:34
Ich verwende das Konzept so gut wie gar nicht. Einerseits ist es mir zu wolkig, um damit sinnvoll arbeiten zu können und konkrete Schlussfolgerungen für mein Handeln abzuleiten. Andererseits ist es für mich kein geeignetes Ziel, wenn ich wirklich zum Wohle des anderen handeln will - so paradox das auch klingen mag. Ich mag es lieber, mich einfach wie jemand zu verhalten, der ich sein will - also jemand auf den sich meine Pferde verlassen können - anstatt dieses Gefühl vorwegzunehmen und mir von ihnen zu wünschen, dass sie es mir entgegen bringen. Damit möchte ich nicht sagen, dass Vertrauen in unserem Umgang keine Rolle spielt, das tut es sicherlich. Aber mir geht es da wie mit dem Konzept der Liebe: total wichtig und schön und die Grundlage für ganz vieles. Aber wenn ich mein Verhalten an dem Ziel ausrichten würde, dass mein Gegenüber mich dann hoffentlich liebt, würde ich komisch werden. :)

Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Avaris am 06. Februar 2023, 15:40:50
Ich würde sagen, mein Pferd vertraut mir, wenn er der Meinung ist
- dass ich es grundsätzlich gut mit ihm meine
- dass ich für ihn verlässlich einschätzbar (re)-agiere

Und ergänzend dazu vielleicht noch, dass er in Situationen, in denen ihm seine eigene Einschätzung einer Situation etwas anderes sagt, er sich dennoch entschließt, meiner Idee zu folgen, entgegen seiner Instinkte. Hier zeigt  sich bei uns dann deutlich, in welchen Situationen Frodur dann doch sich selber mehr vertraut, und in welchen er mir/Simon die Einschätzung der Situation zutraut.

Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Muriel am 06. Februar 2023, 16:29:35
Ich hatte diesbezüglich einmal ein sehr prägendes Erlebnis.

Mirko war glaube ich 5 Jahre alt, wir waren dabei, die Gegend mehr zu erkunden und kleinere Tagestouren zu unternehmen. An diesem Tag hatten wir zu zweit (mit einem ein Jahr älteren Jungpferd) eine Tagestour zu dem Stall von Freunden geplant - eine Strecke von knapp 9 km, die wir auf dem Hinweg etwa zur Hälfte geritten sind und zurück komplett laufen wollten, dabei hatten wir zwei Stunden Pause vor Ort gemacht.

Zu dieser Zeit hatte ich mit Mirko reiterlich oft irgendwelche seltsamen, nicht richtig fassbaren Unstimmigkeiten, wenn wir draußen waren. Irgendwie bog er auf einmal ab, oder walzte durchs Unterholz etc. Eine Situation, die mich ziemlich frustrierte, weil ich die Ursache nicht richtig ergründen konnte.

Als wir nach der Pause vom Hof gingen, waren wir kaum 500 m weit gelaufen, als ein Traktor mit zwei Anhängern voller Rundballen gefahren kam. Und das waren die größten Anhänger die ich je gesehen hatte, die Rundballen waren drei Lagen hoch gestapelt und ich glaub in der untersten Lage 8 Stück in der Länge. Das andere Pony hatte ein Problem mit Dingen, die über seinem Kopf waren, das hatte ich schon bemerkt, als ich mal auf seine Boxenwand geklettert war (das war der Nachbar von Mirko damals).
Je näher dieser Traktor kam, desto mehr spannte sich T. an, riß sich schließlich los und raste davon - Richtung Heimat, dh auch Richtung Autobahn…
Da wir geplant hatten zu laufen, war Mirkos Trense ordentlich seitlich verstaut. Bis ich mit zitternden Fingern alles rausgeholt, Trense über Halfter, aufgestiegen und losgerissen war, war T. schon längst nicht mehr zu sehen.
Wir sind im flotten Trab den Weg entlang, in den Wald hinein. Hufspuren? Rechts, links, den Weg da rein? Schnell Mirko, lass uns gucken, nein, da ist nichts, umdrehen, zurück, im Galopp gehts schneller, oh, hier Spuren? Halten, gucken, wieder los….

Wir waren eine Einheit, wir waren Zentaur, ein Gedanke ein Körper.
Und wir fanden T. , der auf einer grasbewachsenen Kreuzung friedlich graste und ganz erleichtert war, als wir kamen.

Zwei Fragen, die sich mir danach stellten:
Warum hatte T. uns nicht vertraut, sondern beschlossen, sein Heil in der Flucht zu suchen?
Weil er ein Pferd ist. Und weil jedes vernünftige normale Pferd angesichts von etwas derartig Schrecklichem auf keinen Fall stehenbleiben würde und wir Menschen einfach so schneckenlangsam sind, dass uns in diesem Fall auf keinen Fall zu trauen wäre, dass wir schnell genug sein würden.

Zweitens:
Warum hatte ich mit Mirko überhaupt kein Verständnisproblem, als es drauf ankam?
Weil ich ganz bei ihm war und wir gemeinsam das gleiche Ziel hatten. Weil meine Körpersprache der Hinderungsgrund war und die Ursache für seine komischen Reaktionen - aber weil mein Denken so klar und zielgerichtet war, war es meine Körpersprache auch. Wie oft ist es also, das Denken und körperlicher Ausdruck beim Menschen so gar nicht zusammenpassen, und der Mensch aus Sicht des Pferdes gänzlich unverständlich agiert, aber trotzdem „Vertrauen“ aka „Gehorsam“ einfordert.


Was ich gelernt habe ist, dass „Vertrauen“ eben ein Konstrukt ist, dass menschengemacht ist, aber nicht unbedingt logisch fürs Pferd. Und mir stellt sich auch immer wieder die Frage, warum das Pferd uns „vertrauen muss“, warum darf es sich nicht selbst für etwas entscheiden?
Das ist so halb rhetorisch, natürlich weiß ich, dass sich in unserer dichtbesiedelten Landschaft ein Pferd nur selten entscheiden kann zu gehen wo immer es hin will. Romy zeigt ja aber auch, dass es da auch durchaus Konsens geben kann.
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Buschpony am 06. Februar 2023, 22:26:15
Der Begriff "Vertrauen" wird ja leider sehr häufig mißbraucht. Meist ist, wie Heike schon sagte, Gehorsam gemeint. Und Vertrauen "muß" das Pferd haben in den Menschen - umgekehrt eher nicht, weil Menschen ja eh alles besser wissen als Pferde...  :roll:

Ich nutze den Begriff nicht mehr viel. Aber wenn, dann rein situativ, im Sinne von Berechenbarkeit, wie Lena schon beschrieben hat. Im konkreten Training und Unterricht sieht das dann so aus, daß die Aufgabenstellung so gestaltet wird, daß sie lösbar ist. Ganz normal eben. Damit bekommen Pferde und Reitschüler Vertrauen in meine Aufgabenstellung im Training - vom Dach springen würde trotzdem niemand, wenn ich auf die beknackte Idee käme, jemanden dazu aufzufordern...

Beste Grüße,
Dörte.
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Romy am 06. Februar 2023, 23:02:15
Und Vertrauen "muß" das Pferd haben in den Menschen - umgekehrt eher nicht

Spannender Punkt! Um Tines Frage beantworten zu können, in welchem Zusammenhang wir den Begriff nutzen, hab ich heute mal meine Beiträge in einem anderen Forum durchsucht, wo ich in mehreren tausend Beiträgen so ziemlich alle meine Gedanken zum Thema Pferd irgendwann schonmal aufgeschrieben habe. Dabei fiel mir auf, dass meine meisten Anwendungen des Begriffes Vertrauen (bzw. trust, weil englisches Forum) ungefähr so aussahen: "Ich vertraue dem Pferd, dass es weiß, was sich gut anfühlt" oder "wann es genug hat" oder "dass es mir schon sagen wird, was es will, wenn es nicht mehr will, wenn es mit dem was ich tue Probleme hat..." Das heißt, meine hauptsächliche Verwendung des Begriffes bezieht sich auf das Vertrauen in die Selbsteinschätzungsfähigkeit und Mitteilungsfreudigkeit des Pferdes. Das war mir gar nicht so bewusst - passt wenn ich darüber nachdenke aber ziemlich genau zu dem, was ich mit Vertrauen assoziiere. :)
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: AngelaZ. am 07. Februar 2023, 11:04:26
Vielen Dank für den Gedankenanstoß. Ich kaue da seither drauf rum und komme zu keinem wirklichen Schluss.

Gefühlt wird der Begriff im Pferdebereich derzeit genau so überstrapaziert wie früher Gehorsam oder die allfälligen Dominanztheorien.

Ob Pferde den Begriff kennen? Ich denk schon, dass mein Großer meistens der Meinung ist, dass ich für uns Beide nix Doofes entscheide und unsere Wege uns jeweils heil in den Kreis seiner Jungs zurück führen. Ob ich dafür irgend etwas besonderes tue oder mich nur einfach rein zufällig so verhalte, dass das für ihn passt? Irgendwie war es vom ersten Tag an schon so, aber wird schon über die Zeit auch immer inniger.
Ist das Vertrauen? Und wenn ja, kann man das lehren? Erarbeiten? Erwarten? Ist es unumstößlich? Oder mehrt und mindert es sich mit den Erlebnissen? Rückblickend auf unsere 4 gemeinsamen Jahre, komme ich da zu keinem Schluss. Es gibt nichts, was immer gut ist, nur weil es schon oft gut war und es gibt Situationen, da denke ich mir, das muss superschrecklich für den Buben sein und doch geht er mit mir da durch, als wäre nix.

Und auf meiner Seite? Ich vertraue tatsächlich ganz oft nur mir allein. Was eigentlich total quatsch ist, denn ich bin noch nie von irgend jemandem wirklich tiefschürfend enttäuscht worden. Ich brauche für mich zumindest im Ansatz das Gefühl von Kontrolle und ich finde, dass das dem einfachen Vertrauen ziemlich entgegen steht. Mir hilft es auch nicht, bestimmte Situationen so und so oft gut zu überstehen, um irgendwann daraus abzuleiten, dass sie immer gut gehen werden und damit meinem Gegenüber zu vertrauen, dass er oder sie das immer zu unserem gemeinsamen Besten regelt - der Begriff des Vertrauenskontos ist also für mich irgendwie Quatsch.

Andererseits mache ich mit meinen Pferden so viele Sachen, die andere Pferdemenschen für völlig absurd wenn nicht gar gefährlich halten würden und bin mir einfach sicher, dass das alles gut geht. Vertrauen?
Also derzeit tatsächlich fast alles außer Reiten - was auch zuverlässig derzeit eher schief geht (also wir brechen das ab, ehe wirklich was passiert und haben dadurch auch eher wenig Übung), weil mir dort irgendwie Kontrolle fehlt. Doch kein Vertrauen?

Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: mochuisle am 07. Februar 2023, 11:45:48
Ich verwende den Begriff auch nicht gern, in keine Richtung. Also weder sage ich gerne "Ich vertraue meinem Pferd" noch "mein Pferd vertraut mir". Ich persönlich vertraue nämlich nur darauf, dass meine Pferde sich verhalten wie Pferde - also für diese Tierart logisch, im Zweifel aber auch mal unberechenbar. Das trifft auf jedes Pferd zu, auch meinen Wallach, den ich seit über 20 Jahren kenne. Das zu verklären halte ich allgemein für schwierig.

Und ich habe zwar in Jahrzehnten mit Pferden an meiner Seite schon das Gefühl, dass diese Tiere schon irgendwo auch die abstrakten Konzepte Vertrauen oder Verantwortung verstehen - aber darauf baue ich nicht wirklich etwas auf im gemeinsamen Alltag oder Training. Ich gehe nicht grundsätzlich davon aus, dass ein Tier, das mich kennt, mir vertraut oder Verantwortung an mich abgibt - selbst wenn es die Konzepte verstehen/kennen sollte.

Dieses Gefühl, dass Pferde ähnliche Konzepte in ihrem Denken kennen, führen nur in manchen Situationen zu Vorsichtsmaßnahmen wie z.B. Absteigen und Führen, wenn Pferde sich an etwas "feststarren" oder dergleichen. Ich habe z.B. das Gefühl, dass Reitpferde sich gewissermaßen der Verantwortung durch das Tragen eines anderen Lebewesens bewusst sind - da viele Pferde vorsichtiger bzw. schreckhafter sind, wenn sie geritten werden. Aber vielleicht ist es auch nur ein uralter Instinkt, der Gewicht auf dem Rücken halt dich irgendwie mit einer unguten Situation verbindet. Keine Ahnung - aber absteigen kann manche Situationen im Gelände für mich, warum auch immer, sicherer machen. Ich könnte jetzt interpretieren, dass meine Pferde mir am Boden mehr vertrauen als vom Sattel aus - aber irgendwie finde ich das zu einfach gedacht und es bringt mich auch nicht wirklich weiter.

Mein Fjordi ist z.B. auch viel verlässlicher, wenn ich ein Handpferd am Strick habe, als wenn das selbe Pferd geritten mit dabei ist. Während er sonst schon mal ein paar Bocksprünge beim Angaloppieren macht oder sich nicht so gerne im Trabtempo regulieren lässt, ist das mit Handpferd dabei nie ein Thema. Als wüsste er um die größere Gefahr/Verantwortung in der Situation und als könnte ich ihm vertrauen, dass er das weiß. Aber das ist halt alles sehr tief interpretiert und ich versuche da eher auf der beobachtenden Seite zu bleiben, als zu viel hineinzudenken. Auch wenn es spannende Beobachtungen sind. Bei uns gilt in dieser Situation z.B. auch das Herdengefüge nicht mehr, d.h. der eigentlich ranghöhere Wallach lässt sich als Handpferd vom Fjordi maßregeln.

Also ich denke schon, dass da irgendwo eine Gefühlsmetaebene oder sowas gibt. Aber es gibt ja ganze Trainingskonzepte die darauf ausgerichtet sind und das halte ich dann eher für Humbug. Ich trainiere weiter Verhalten und gehe mit jedem Pferd meinem Sicherheitsbedürfnis nach und rechne damit, dass auch ein Pferd im Zweifel seinem Sicherheitsbedürfnis nachgeht und ich da wenig Argumente habe.
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Romy am 07. Februar 2023, 12:17:48
Und auf meiner Seite? Ich vertraue tatsächlich ganz oft nur mir allein.

Das finde ich einen total spannenden Punkt, weil meine erste Reaktion war, dass bei mir das Gegenteil der Fall ist - ich vertraue grundsätzlich erstmal allen. Natürlich schließt sich die Frage an, ob ich naiv bin und mich dadurch dauerhaft in große Gefahr begebe. Dazu habe ich zwei Gedanken.

Erstens, allen zu vertrauen ist leicht, wenn man seinen Interaktionspartnern zu ihnen passende Aufgaben zuordnet. Vertrauen ist für mich nämlich total kontextspezifisch. Zum Beispiel vertraue ich meinem Kollegen Sascha hundertprozentig, dass er mir bei Computerproblemen helfen kann. Ich gebe ihm ohne Bedenken meinen Computer, der ein essentielles, tägliches Werkzeug für mich ist. Warum? Weil Sascha Informatiker ist und sowas gut kann - und weil er dazu noch einer der gewissenhaftesten Menschen ist, die ich kenne. Andererseits vertraue ich meiner Doktorandin Judith komplett, wenn es darum geht, ihr eine wichtige und kniffelige Forschungsaufgabe zu übertragen. Ich weiß, dass sie das fantastisch machen wird und ich voll hinter ihrer Arbeit stehen und die auch nach außen vertreten kann. Würde ich ihr meinen Computer zum Reparieren geben? Sicher nicht. Würde ich Sascha psychologische Themen übertragen? Sicher nicht. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich beiden hundertprozentig vertrauen kann, weil ich ihnen nur solche Aufgaben übertrage, die sie gut können und gerne machen. In anderen Dingen ist das weniger personenspezifisch (zum Beispiel vertraue ich allen mit denen ich täglich Bus und Bahn fahre, dass sie mich nicht erstechen), aber auch hier wieder themenspezifisch: bei Themen, die breiter gesellschaftlicher Konsens sind oder im Interesse der meisten Menschen liegen, braucht es keine besonderen Fähigkeiten und ich muss nicht viel vom Gegenüber wissen, um ihm zu vertrauen.

Zweitens, anderen zu vertrauen ist leicht, wenn man ein hohes Vertrauen in sich selbst hat. Wenn ich zum Beispiel jemanden in einer anderen Stadt besuche und wir verabredet sind, dass er mich am Bahnhof abholt, vertraue ich darauf, dass er das auch tut. Auch steige ich zu ihm ins Auto und vertraue darauf, dass er mich nicht irgendwo im Wald absetzt. Oder dass er mir die richtige Adresse gibt, wenn ich selbst da hinfahren soll. Darauf zu vertrauen ist für mich unter anderem deshalb leicht, weil ich weiß, dass ich auch alleine klarkommen würde, wenn es schiefgehen würde. Deswegen muss ich nicht vorab die Route checken, vorsorglich die Nummer vom Taxiunternehmen notieren und mir schonmal redundant zur geplanten Übernachtungsmöglichkeit ein Hotelzimmer vormerken - ich weiß einfach, dass ich auch spontan eine Lösung improvisieren könnte, wenn es nötig werden würde. Vertrauen in meine Improvisationsfähigkeiten erlaubt es mir also, anderen zu vertrauen.
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Hatschi am 07. Februar 2023, 13:07:51
Spannende Frage ... Also ich hab mich nie so richtig mit der Vertrauensfrage beschäftigt, sondern ich versuche immer eine Art gegenseitige Akzeptanz/Rücksichtnahme und Respekt auf beiden Seiten hinzubekommen, quasi wertfrei, was mir als Mensch sicher schwerer fällt als meinem Pferd  :cheer:, aber sie ist da zum Glück nachsichtig. Auf diese Dominanzgeschichte bin ich auch nie eingestiegen, da ich nicht so recht begriffen habe, warum so ein großes Tier, was in der Herde lebt und ab und zu mal auf ein Stündchen Besuch vom Zweibeiner bekommt, diesen dann als absolutes Leittier akzeptieren sollte.

Das kleine putzige Tier ist ja mein Zweitpferd und noch einen Zahn rigoroser in ihren Ansichten als das Erstpferd. Kommuniziere ich widersprüchlich oder in ihren Augen irgendwie unfair, ist sie dagegen und hat mich damit ganz gut erzogen. Und Vertrauen sehe ich auch immer projeziert auf irgendwas. Also das ist auch etwas, was wächst. Ich persönlich finde es schon einen großen Vertrauensbeweis, wenn so ein stattliches Tier sich ein Halfter anziehen lässt und mit mir an der Strippe die sichere Herde verläßt. In mein Erstpferd hatte ich großes Vertrauen, in mein Zweitpferd erstmal überhaupt keines, mitterweile ist es aber schon echt groß geworden, einen Sulky dranspannen würde ich mir aber immer noch nicht trauen (so als Beispiel). Und irgendwie kann ich ehrlich gesagt nur mein Vertrauen einschätzen, weiß aber nicht so wirklich, ob das Pferd mir so etwas entgegenbringt oder ob das wieder so ein Menschen-Ding ist.

Bissel konfus  :lol:
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: classic am 07. Februar 2023, 14:36:10
Spannendes Thema!
Ich mag den Begriff nicht und bin auch immer komplett überfordert, wenn das Thema im Gespräch aufkommt.

Mein erstes Problem ist, dass 'das Pferd vertraut MIR' de facto ein Label für den Trainer ist. Denn selbst wenn wir die Diskussion so weit vermenschlichen, dass wir dem Pferd verbal auszudrückenden Konzepte unterstellen, 'vertraut' das Pferd ja nicht der Person, sondern deren Verhalten. Außerdem ist 'Vertrauen' viel zu bedeutungsflexibel und jeder biegt es sich so zurecht, wie man es für die Argumentation gerade braucht.
Abgesehen davon will ich ja gar nicht, dass das Pferd 'mir vertraut', sondern es soll auf Grund seiner Lebens- und Lernerfahrung befähigt sein, seinen Alltag in Gefangenschaft mit möglichst wenigen aversiv empfundenen Situationen zu erleben. Natürlich ist es Aufgabe des Besitzers, dafür die Weichen zu stellen soweit die Realität das zu lässt, aber Hauptperson sollte schon das Pferd. Im echten Leben wird das immer ein work in progress bleiben, daher sind Bewältigungsstrategien zwar sinnvoll, aber eben nicht das Endziel. Manche Bewältigungsstrategien sind mir sympathischer als andere, aber alle werden mit irgendeiner Version von 'Vertrauen' vermarktet. Das ist also kein Kriterium.

Auch das Konzept des Vertrauenskontos verwende ich für mich selbst ungern und habe stattdessen für den gleichen Zweck lieber das Bild von Resilienz. Das funktioniert für mich besser, weil es das Konzept von 'unangenehme Dinge aushalten' nicht schönflauscht sondern für mein Empfinden einfach ein Ziel definiert, ohne es moralisch zu werten.

Den Begriff an sich verwende ich aber überraschend häufig, gerade weil mich Vertrauen als Konzept in einer Diskussion stresst. Da die meisten Menschen damit grob meinen, dass das Pferd nicht aufmuckt, auch wenn die Situation doof wird, kehrt es den Spieß ein bisschen um die Konversation auf Vertrauenskonto zu lenken. Das kommt dann mit ein bisschen Glück so überraschend, dass wir wenigstens beide auf dem falschen Fuß stehen  :tuete:
Und auch im Umgang mit NILIF-Extremisten sehr hilfreich.
Andererseits kenne ich einige Trainer, die mit dem Sparschwein Modell sehr gut zurecht kommen. Das ist auch schön! Letztendlich ist Sprache ja nur Hilfsmittel.
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Romy am 08. Februar 2023, 08:01:13
Mich würde trotzdem sehr die Perspektive von Personen interessieren, für die Vertrauen ein nützliches Konzept für die Gestaltung ihres Umgangs mit Pferden ist.

Wie verwendet ihr das? Hilft es euch, konkrete Handlungen abzuleiten? Oder eine generelle Grundstimmung anzunehmen? Vielleicht dient es euch aber auch als Messkriterium für den Erfolg eures Umgangs mit dem Pferd? Wenn ja, woran macht ihr fest, ob und wie viel Vertrauen vorhanden ist? Welche anderen Verwendungen habt ihr für das Konzept?
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: SaBo am 08. Februar 2023, 08:50:20
Ich muss zugeben, ich war auch schon regelmäßig an dem Punkt, an dem ich dachte mein Pferd würde mir nicht ausreichend vertrauen. Weil es so "ängstlich" durch die Welt geht.
Erst hier im Forum hab ich mal andere Blickwinkel erfahren dürfen - und da muss ich sagen, das tat mir gut. Meine "selbstzerstörerischen" Gedanken nehmen hin und wieder Überhand und es ist für mich dann sehr hilfreich, dass das eine nicht unbedingt etwas mit dem anderen zu tun haben muss.

Aber der Begriff "Vertrauen" begegnet einem in der Pferdewelt ja durchaus regelmäßig. Meistens von Trainern, die ihr Konzept vermarkten wollen. Oder von Pferdebesitzern, die "Vertrauen aufbauen", indem sie Bodenarbeit machen, bevor sie reiten etc.
Und umso härter trifft es mich dann, wenn mein Pferd mir scheinbar nicht vertraut und sich das darin äußert, dass es "nicht funktioniert".
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Shotlandpony am 08. Februar 2023, 09:15:51
Spannendendes Thema, bei dem ich ja sozusagen jetzt schon "Späteinsteigerin" bin ;).

Für mich steht bei dem Begriff an erster Stelle, bei Mensch und Pferd, und ist eigentlich auch das allerwichtigste:

"Selbstvertrauen". Die Sicherheit, ich kann ganz viel und wenn nicht, werde ich Lösungen finden. Ich kann gut auf mich aufpassen und mir ist - da ist sicher auch Glück dabei - bisher nichts wirklich schlimmes passiert. Und wenn doch was dööferes vorkommt, werde ich einen Weg finden. Da spielt die Sache mit der Resilienz natürlich ordentlich rein.

"Lebensvertrauen allgemein" - wie Romy auch schrieb: ich gehe auf die Straße/ in Gebäude/ Fahrzeuge  und nicht davon aus, dass mich jemand überfahren/ erstechen/ überfallen will. Dass ich, wenn ich jemanden um Hilfe bitten muss, diese vermutlich auch bekommen werde. Dass Menschen zum größeren Teil "gut" sind und ich einem der sichersten Gegenden der Welt lebe.

"Vertrauen in einen konkreten "Anderen
" - das ist für mich dann einerseits das Ergebnis aus den ersten beiden, andererseits natürlich eine sehr individuelle Sache. Bei Menschen sicher noch spezieller als zwischen Menschen und Pferden: dem einen Mensch vertraue ich bedenkenlos meinen PC an, dem anderen folge ich angeseilt auf den Gletscher. Umgekehrt vielleicht nicht, aber wenn diese Personen gutes Selbstvertrauen haben, werden sie auch klar darin sein zu sagen: dahin kannst du mir folgen (weil  ich sicher bin), für das andere suche dir jemand, der darin gut ist. Auch solche Entscheidungen fördern dann ja das Vertrauen in den anderen „ich kann mich drauf verlassen, dass der mich nicht ins Unglück stürzt“.

Mir gefällt der Begriff "Vertrauenskonto" ("Sparschwein" dürfte ja ähnliches bedeuten?) gut. Vertrauen ist mehr Gefühl als Verstand (das genaue Verhältnis ist sicher auch sehr individuell) braucht Zeit und lässt sich nicht erzwingen. Je mehr gemeinsame gute Erlebnisse die Partner zusammen haben und auch weniger gute erfolgreich gemeistert wurden, desto tiefer wird es. Auch wenn dann doch mal etwas schiefgeht, wirft das nicht mehr auf "Anfang" zurück. Und um so ruhiger kann man bei Unsicherheit den anderen fragen: "Was meinst du? Ist das gefährlich? Kriegen wir das hin?" und dessen Antwort "Ja, schaffen wir" auch glauben. Bzw :“Lass uns lieber eine andere Lösung suchen!“ auch annehmen.
Ich möchte auch, dass meine Pferde mir das mitteilen (tun sie) und ich auch in der Lage bin, das sehr früh zu bemerken (wird besser  :)

"Vertrauen in andere" ist meiner Meinung nach viel leichter, wenn dieser "andere" auch ein gutes Selbstvertrauen hat, sicher und souverän ist. Wenn zu dem guten Gefühl, das man dann selber hat, auch das (erfahrene) Wissen kommt "Der/die kann das!", umso besser.

Also nicht „trainierbar“ im eigentlichen Sinne, aber natürlich entwickelbar, durchaus auch mit Hilfe von Techniken und Methoden, weil, siehe oben: Je mehr Situationen erfolgreich bewältigt werden, desto größer wird das Vertrauen in sich selbst und andere.
„Durchsetzen“ schafft jedenfalls kein Vertrauen, weder bei Mensch noch Tier, sondern höchstens „ich muss mich jetzt wohl fügen“ und „besser versuchen, sowas zukünftig vorher schon zu vermeiden“. Das wäre dann für mich „Gehorsam“.

Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Shotlandpony am 08. Februar 2023, 09:16:05
Konkret im Zusammenhang mit Pferden heißt das bei mir:

Ich habe schon viel Vertrauen in Pferde gehabt. Auch in fremde, bei Wanderritten in ziemlich anspruchsvollen Gegenden, in denen sie mich sicher und souverän getragen haben, obwohl ich manchmal am liebsten die Augen zugemacht hätte.
In Minou, entwickelt in einem langen gemeinsam Leben und natürlich auch dem Wissen, was für sie wichtig ist, was ihr wirklich Angst machte (wenig), was sie wirklich gut kann. Ich gehe davon aus, sie konnte mich noch viel besser einschätzen.

Bei den Shettys sind sowohl Selbstvertrauen als auch Vertrauen ins Leben allgemein sehr ausgeprägt. Eigentlich kommen wir nicht (mehr?) in Situationen, in denen sich die Vertrauensfrage stellt. Vieles „besprechen“ wir – kann das gar nicht richtig beschreiben.
Ihnen kann ich ähnlich viele Freiheiten geben wie Romy ihren Rössern.

Bei Jung-Nio ist beides grundsätzlich durchaus vorhanden, aber natürlich allein aufgrund seines Alters und der noch übersichtlichen Lebenserfahrung kann er natürlich noch nicht so vieles einordnen und lösen wie die Shettys.
Bei ihm kommt noch dazu, dass er sehr ausgeprägte Wildtier-Reflexe hat. Diese Schnelligkeit der Reaktion  - eines in sich ruhenden und überhaupt nicht zur Kopflosigkeit neigenden Pferdes - kenne ich von meinen anderen Ponys nicht. Diese Reflexe können wir aber wohl tatsächlich deutlich reduzieren. Das „weg“ wird sowohl von der Zeit als auch von der Strecke immer kürzer und an seinem Gesichtsausdruck ist immer klarer zu erkennen, dass er sich selber große Mühe gibt, ganz schnell wieder in den „Denkmodus“ zu kommen.

Bei uns beiden ist der Weg ins gegenseitige Vertrauen also ein längerer. Nicht zuletzt, weil wir auch ein paar Situationen hatten, in denen wir beide selbiges weder in uns selber, noch die Situation und erst recht nicht in den anderen hatten und uns am Anfang teilweise gegenseitig und gemeinsam gegruselt haben. Da muss ich also hinsichtlich des „Entwickelns“ deutlich mehr vorauschauendes Denken, Training von bekannt gruselbehafteten Situationen, Zeit und vor allem eine Menge Selbstreflexion investieren, als das bei den meisten meiner anderen Ponys nötig war. Bei Hendrik habe ich es nicht geschafft.

Ich merke aber auch, dass sich das Vertrauenskonto füllt. Indem er mich immer öfter fragt, was in kniffeligen Situationen zu tun ist und wir dann gemeinsam gucken, wie weit wir gehen können. Und ich immer mehr darauf baue, dass er das tut und auch erkenne, dass er von der Veranlagung ein sicheres und souveränes Pferd ist – das aber wie alle Pferde als erste Priorität hat, das eigene Leben zu schützen und dafür genetisch wohl auch besser ausgestattet als andere nach sonstwelchen Kriterien gezüchtete.

Heike kann ich auch nur zustimmen - dass Denken, Fühlen und körperlicher Ausdruck beim Menschen oft so gar nicht zusammenpassen und der Mensch aus Sicht des Pferdes gänzlich unverständlich agiert. Ein selbstsicheres Pferd sagt, mir doch egal, ein unsicheres trifft ggf. „lieber-weg“-Entscheidungen.

Sich bewusst zu machen, wie man sich selbst fühlt – allgemein und in speziellen Situationen – und sich bewusst zu sein, dass das Pferd das schon lange erkannt hat, ist sehr wichtig und mir scheint, dass tun viele nicht. Müsste eigentlich erstes Thema auch bei Kursen und Seminaren sein, wenn es um Vertrauen, Gelassenheitstraining usw. geht  … ist es so allgemein aber vermutlich nicht. Allerdings lese und sehe ich immer mehr, dass von Profis dieser Aspekt angesprochen und betont wird.
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: noothe am 10. Februar 2023, 22:18:58
Ich danke euch für eure vielen Antworten und die ganz unterschiedlichen Aspekte des Begriffs "Vertrauen" :knuddel: Über manche Punkte muss ich noch 2-3x drüber lesen, um meine Gedanken zu sortieren. Ich hab irgendwie ambivalente Gefühle zu dem ganzen Thema. Oft ist Vertrauen meinem Gefühl nach etwas, dass eingefordert wird in Situationen, an denen ich nichts groß ändern kann - wie z. B. dass der mir aktuell zugeordnete Facharzt Ahnung von dem hat, was er tut. Oder dass die Physiotherapeutin mir keine Übungen empfiehlt, die mir schaden. Andererseits ist Vertrauen auch etwas sehr Schönes, wie wenn meine Schwester mir meine kleine Nichte in den Arm legt und darauf vertraut, dass ich auf sie Acht gebe. Das mit meinem Zusammensein mit den Pferden und den gegenseitigen Erwartungen zusammenzubringen, das fällt mir schwer.

Den Vertrauenskonto-Begriff fand ich zu Beginn wirklich augenöffnend, weil er viel mehr Spielraum dafür geboten hat, dass eben alle Interaktionen und Erlebnisse zählen und nicht nur einige wenige. Inzwischen ist er mir aber wiederum oft zu unspezifisch, weil eben ganz viele schöne und angenehme Interaktionen in einem Bereich nicht automatisch Auswirkungen auf andere Dinge haben. Während ich mich mit der Krümeline im Kernbereich unseres Stalles wirklich sehr entspannt bewegen kann und auch keine Sorgen habe, dass sie mir irgendwo verloren geht, endet das für uns beide an bestimmten Randpunkten. Da könnte man jetzt diese ganzen "Vertrauensargumente" anbringen, aber ich fühle mich mit "haben wir geübt / haben wir keine Routine mit" deutlich wohler und handlungsfähiger.
Titel: Re: Die Vertrauensfrage
Beitrag von: Shotlandpony am 13. Februar 2023, 09:30:32
Das "Gefühl" Vertrauen kann man nicht einfordern, finde ich. Das ist da oder eben (noch) nicht. Wenn nicht, aber Pferd macht trotzdem, wäre es für mich eher Richtung Gehorsam/ Gewohnheit.
Zumindest bei Menschen gibt es aber oft ein eher "rationales" Vertrauen - in den Arzt, Therapeutin, den PC-Experten, überhaupt Experten. Also für mich: ich fühle mich immer noch eher unentspannt, aber mein Verstand sagt:  Der weiß, was er tut, wird schon ok sein, also mache ich.

Was du mit der Krümeline beschreibst, ist dann wohl wieder eher der Bereich Selbstvertrauen ... Kenne ich auch gut. Trecker hinter dem Zaun, wir in Sicherheit, egal was der macht - dann bin ich auch ziemlich entspannt. Bei der bloßen Vorstellung, selbigem Trecker auch in größerer Entfernung "in freier Wildbahn" zu begegnen - dafür reicht mein Selbstvertrauen noch lange nicht aus. Zu Recht, denn dieser Situation wären wir derzeit nicht gewachsen.