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"Equus Lost"

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"Equus Lost"
« am: 26. Oktober 2021, 09:29:32 »
Das zweite neue Pferdebuch aus dem Cadmos-Verlag habe ich mit ebenso viel Vorfreude erwartet wie das Clickerbuch und meine Erwartungen hat es voll erfüllt.
Die Autoren vertreten einen wirklich sehr ungewöhnlichen Ansatz (und ich lese und gucke ein breites Spektrum) und wollen den mit ihrem Institut „Learning Animals“ verbreiten.
Ich vermute mal, ein Buch, das jede Menge spontane Oppositionsreflexe auslösen wird … nicht nur bei Menschen, die die Dominanztheorie auch bei „Pferden unter sich“ noch glauben oder daran, dass Pferde immer jemanden (einen Menschen …) haben müssen, dem sie folgen können. Nicht nur bei denjenigen, die negative Verstärkung und Druckstufensteigerung als richtige Mittel zum Umgang und Training mit Pferden ansehen. Wie Sady schon vermutet hat, wird von den Autoren „operante Konditionierung“ grundsätzlich nicht als der gute Weg angesehen, weder mit negativer noch positiver Verstärkung. Ich stell meine Besprechung hier trotzdem mal ein – die eine oder andere mit Blicken über den Tellerrand wird hier ja mitlesen ?
Da ich ja ein pragmatisches „Sowohl-als-auch“-Naturell habe, sehe ich persönlich das entspannt und glaube, dass man Clickern schon mit dem Ansatz des Buches vereinbaren kann – die spannende Frage ist nur, wie am besten ….

Mich hat das Buch jedenfalls da abgeholt, wo ich grade stehe. Seit der Planung des Einzugs von „Wildpferden“, also Exmoorponys aus halbwilder Haltung, habe ich mich intensiv mit wildlebenden Pferden beschäftigt (durch Bücher/ Internet und sehr ausgiebig der Lubetzki-Masterclass) und dadurch einen noch größeren Respekt vor pferdischen Fähigkeiten entwickelt – Fähigkeiten, die sie haben, wenn ihnen nicht, wie Tine das so schön formuliert hat, das (menschliche) Leben passiert wäre.
Seitdem Gismo und Nio nun bei uns leben, haben sie mir vieles davon auch schon live gezeigt.
Gismo durch seine seit zwei Jahren konsequente Weigerung, sich konditionieren und manipulieren zu lassen und gleichzeitig mit einem Sozialverhalten und einer Souveränität, die klar zeigen: er könnte bestens „frei“ klarkommen und wäre ganz sicher nicht der erste, den der Wolf zu fassen kriegt.
Nio mit ganz anderen Naturell und dem unbedingten Willen, sich das Leben anzueignen, mit großem Interesse am „Zivilisierten“ und an Menschen.
Neben Marc Lubetzki habe ich näher mit der Trust Technique (James French) und dem Freedom Based Training (Elsa Sinclair) beschäftigt – alles Ansätze, die nicht das vorherrschende Ziel haben, „Pferd macht, was Mensch will“ und sehr auf individuelles Vorgehen, Dialog, Beziehung setzen und möglichst gar nicht auf „Techniken“ welcher Art auch immer.
Die drei (und vermutlich z.B. auch Imke Spilker - das Buch „Selbstbewusste Pferde“ muss ich auch mal wieder lesen -und noch ein paar mehr) würden beim Lesen des Buches vermutlich oft zustimmend nicken.
Das „verlorene Pferd“ ist das soziokognitive Pferd. Kognition ist die Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, das Gelernte anzuwenden, die eigenen Vorlieben aufgrund der eigenen Erfahrungen zu ändern und mit der Außenwelt in Dialog zu treten, um eine subjektive Realität zu erhalten.
Definition von „soziokognitiv „Kognition ist Teil eines Individuums – eines Subjekts, das Informationen braucht, um seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Die Möglichkeit, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und zu produzieren, bedeutet, sich weiterzuentwickeln, Kongruenz mit sich selbst zu erreichen, Selbst- Erfahrung und Selbst-Bewusstsein zu entwickeln. Für soziale Tiere wie Pferde bedeutet das, in einer gemeinsamen Kultur zu wachsen, in einer kontinuierlichen Evolution des gemeinsamen Lebens“.
Hm, wie das so ist mit solchen Definitionen – im Text kommt aber gut raus, was gemeint ist.

« Letzte Änderung: 26. Oktober 2021, 10:45:55 von francelaura »
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #1 am: 26. Oktober 2021, 09:30:39 »

Die immer noch und überall verbreitete Ansicht, Pferde seien reaktive Fluchttiere, die kontrolliert werden müssen, wenn Menschen eine sichere und effiziente Interaktion wünschen, stimmt so nicht („in Wirklichkeit werden Pferde erst aufgrund ihres Zusammenlebens mit Menschen zu Kampf- oder Fluchttieren“ und „Pferde sind umso mehr von Menschen abhängig, je weniger sie in der Lage sind, die Welt auf ihre Weise zu verstehen und sich ihrer selbst bewusst zu sein“) – und meine Ponys, von Hendrik selig mal abgesehen – habe ich auch nie so erlebt. Sie brauchen keinen „Dominator“, weder vier- noch zweibeinig, der ihnen sagt, wo`s langgeht. Stattdessen sind sie in der Lage, sich die Welt mit großer Neugier selber zu erobern und zu lernen, allein und von/ mit anderen, und zwar intrinsisch motiviert.
Eine weitere Textstelle, die mich sofort ansprach „Ein Pferd beurteilt aber nicht alles nur aus einer Schwarz-Weiß-Perspektive, bei der notwendigerweise zwischen gefährlich und ungefährlich (Anmerkung von mir: man kann vielleicht auch „lohnt sich/ lohnt sich nicht“ setzen …) unterschieden werden müsste. Ein Pferd kann auch einfach nur fasziniert sein, weil das Sammeln von Informationen interessant ist. Daraus resultiert nicht unbedingt eine Reaktion, sondern die gewonnene Information wird als Wissen abgespeichert, irgendwo zur Entscheidungsfindung verarbeitet oder einfach zur zukünftigen Anwendung gespeichert – oder eben nicht“.
Genau den Eindruck hatte ich bei Nio von Anfang an, konnte es nur nicht so gut in Worte fassen.

Warum auch Training mit positiver Verstärkung grundsätzlich als „Konditionierung“ aus Sicht der Autoren den Weg zu einer „soziokognitiven“ Beziehung zwischen Mensch und Pferd erschwert, wird ausführlich begründet (Druckmethoden wie Natural Horsemanship und Roundpentraining kommen natürlich auch nicht gut weg).
„Trainingsmethoden konzentrieren sich hauptsächlich auf das zu erzielende Ergebnis – den Gehorsam – und ignorieren dabei das wahre Wesen des Pferdes und seine sozialen Fähigkeiten“.
„Die Führung zu übernehmen bedeutet, ständig Ziele zu setzen. Dagegen bedeutet eine Beziehung zu leben, Erfahrungen zu machen“
Futterbelohnungen sollen den Fokus des Pferdes vom tatsächlichen Verständnis für einen Kontext ablenken, die Anwendung operanter Konditionierung die Möglichkeit spontaner Verhaltensweisen drastisch verringern.
„Wir müssen uns bewusst sein, dass wir, wenn wir Pferden Belohnungen geben, einen starken Magneten erzeugen, der ihr authentisches Ausdruckspotential verringert“.

Aus der Erfahrung mit meinen Ponys und den vieler anderen sehe ich das nicht so eng. Wie so oft – es kommt drauf an. Wenn man – wie wohl die meisten hier im Forum – das Clickern nicht als Weg zu einem „funktionierenden“ Pferd sieht, sondern als Dialog mit dem Pferd, dessen Ideen aufgenommen werden, mit viel Begeisterung, verbalen Lob, deutlich ausgedrückter Zuneigung – dann finden das die meisten Pferde toll und dürften das auch als Bereicherung empfinden, grade wenn ihr „entmündigendes Zivilisationsleben“ sonst ziemlich langweilig ist.
Emotionsloses, körpersprachloses Clickern mit genauen Zielvorstellungen, belohnungstechnischer Aufrüstung und mit dem Argument „Tiere tun, was sich lohnt – und das ist in erster Linie Futter“ ist definitiv sowieso nicht meins. Wenn alle Situationen des Zusammenseins nur mit Futter stattfinden, würde für mich das eine bedauerliche riesige Beschränkung bedeuten und wird Pferden auch nicht wirklich gerecht.

« Letzte Änderung: 26. Oktober 2021, 10:46:33 von francelaura »
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #2 am: 26. Oktober 2021, 09:31:11 »
Nachdem ich Freitagabend mit dem Lesen angefangen hatte und in meinen Rösslein das „verlorene Pferd“ zum Glück deutlich wiedererkannt habe, wurden meine Nio-Runden Samstag und Sonntag sofort zur experimentellen Umsetzung genutzt.
Ich bilde mir schon ein, dass meine Ponys viele Freiheiten haben, auch wenn wir zusammen draußen sind.
Jetzt wollte ich aber konsequenter vorgehen und wirklich weitgehend die Welt mit Nio zusammen „erfahren“ (weitgehend, weil ich im Gegensatz zu ihm eine To-Do-Liste hab und nach ca. 1 Stunde wieder zurück sein wollte ?.
Also: er kann stehen bleiben und rumgucken so lange er möchte, ich stehe mit, gucke auch und versuche, zu sehen und zu fühlen, was er sehen und fühlen könnte. Er darf unterwegs essen und rumschnuppern und erkunden was und wie lange er möchte, ich schaue mir das an, versuche mich reinzufühlen (im nächsten Schritt würde ich wohl auch mal ins Berühren kommen).
Ziemlich faszinierend. Er hat z.B. (einiges „durfte“ er natürlich auch sonst schon, nur nicht immer zeitlich unbegrenzt)
•   Pfützen gezielt zum durchmarschieren angesteuert
•   Personen mit und ohne Hund von ziemlich weit weg gesehen und deren Näherkommen interessiert und ausdauernd verfolgt
•   Bogenschützen lange betrachtet
•   Sein Spiegelbild im Fenster ausgiebig studiert
•   Mit einem Gartentorgriff gespielt
•   Brennesseln und Himbeeren verspeist, diverse runtergefalle Zweige -Laub und Nadel- aufgesammelt und teils gegessen (Gras weniger, weil im Wald kaum vorhanden und er 3 Stunden Koppel hatte)
•   Sich intensiv mit seiner Lieblingstreckerspur mit Wasser drin beschäftigt
•   Einen langen Ast zwischen die Zähne genommen und ein Stück weit getragen
•   Eine rausstehende Wurzel benagt
•   Diverse Stellen am Boden ausgiebig erkundet
•   Einen kaputten Plastikblumentopf beschnuppert und hochgenommen. Da ich wieder Kopfkino hatte, nahm ich ihm den weg und warf ihn aufs Grundstück, wo er herkam – Nio hinterher und wieder aufgesammelt

Seit Mai gehen wir ja zu zweit alleine los, der Beginn war besonders für mich sehr anspruchsvoll. Aber von Beginn an war mir klar, dass „jede kleine Annäherung an ein unbekanntes/ vielleicht zunächst gruseliges Objekt“ zu clicken keine gute Idee ist. Er war von Anfang an willens und in der Lage, sich das selbst zu erarbeiten, mutig und zielstrebig. Irgendwelches Eingreifen von mir mit Geräusch und Futter hat genervt und unterbrochen.
Und wenn es ihm doch mal allein zu viel war, hat er das klar kommuniziert und mich „gefragt“ (allein sowas kann man den meisten Pferdeleuten schon nicht erzählen).
Die Samstag-Runde war so ziemlich die entspannteste, die wir je hatten.

« Letzte Änderung: 26. Oktober 2021, 10:47:19 von francelaura »
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #3 am: 26. Oktober 2021, 09:32:24 »
Sonntag war etwas aufregender, zweimal musste er kurz losschießen. Dabei lasse ich die locker gehaltene Longe schon seit längerem einfach los, weil er je nach Aufregungsgrad entweder genau in vollem Galopp zu mir zurückgedonnert kommt wie er abgedampft ist bzw. nach 3, 4 Sprüngen stehenbleibt und auf mich wartet. Dazu mal wieder ein Umrempler (hatten wir lange nicht mehr). Aber insgesamt auch eine sehr aufschlußreiche und schöne Tour, tat mir richtig leid, nicht noch mehr Zeit zu haben, weil die nächste Verabredung für Tour mit den Shetttis anstand.

Auf beiden Runden hab ich sowenig Futter verbraucht wie selten und mir ist (mal wieder) sehr deutlich geworden, dass ich ein „Ach-seid-ihr-süß“-Fütterer bin (bei den Shettis) bzw. ein „Streßfütterer“ bei Nio – wenn ich befürchte, dass aus dem entspannten Gehen was aufregenderes werden könnte (bergauf, kommt was komisches o.ä.), stopf ich schon mal prophylaktisch Futter rein – um MIR zu helfen.
Die Intention von „Learning Animals“ ist mir dabei sehr klar geworden: wenn man sich wirklich auf das Pferd einlässt und die Welt, die Welt mit seinen Augen sieht und Pferd und sich selber die Zeit gibt, die nötig ist, etwas zu sehen, zu erkunden und zu verstehen, verliert ganz viel seinen Schrecken.
Dinge werden gemeinsam geprüft (da lässt auch Sharon Wilsie grüßen) und dann hoffentlich für nicht mehr gefährlich gehalten bzw. der nötige Sicherheitsabstand gewählt und weder Kopflosigkeit noch gar Panik sind nötig.

Ich bin sehr gespannt, wie das auf diesem Wege weitergeht und habe mit Nio auch einen idealen Partner zum „probieren“. Die Shettis und ich sind ja im Prinzip schon ein Dream-Team, sie kennen die Welt.
Nio hatte ja zum Glück die Möglichkeit, sein erstes Lebensjahr pferdegemäß als „kognitives Fohlen“ zu verbringen im Familienband samt Vater, großen Flächen und ohne menschliche Manipulationen und lebt auch nach dem „Absetzen von allem“ wieder in einem stabilen Herdenverband.
Und er hat noch wenig Lebenserfahrung, aber die klare intrinsische Motivation, den Zustand zu ändern - so dass wirklich noch jede Tour mit ihm auch ein großes Erkundungserlebnis ist.

Tja, wie das dann mit der praktischem Umsetzung bei möglichen Interessierten aussieht, die nicht so gute Bedingungen haben (Pferde am Haus oder zumindest in Eigenregie, einigermaßen artgerechte und soziale Jugend, dauerhafte feste Herde, gutes und sicheres Gelände, wo in jeder Hinsicht mal „losgelassen“ werden kann) … kann vermutlich in vielen Fällen herausfordernd werden.
Ist es ja schon, wenn man sich in einem „Normalstall“ auf den Clickerweg begibt, erst recht, wenn man noch „obskurere“ Ideen hat, wie die Lubetzki-Masterclass umzusetzen oder den Weg des Freedom-Based-Training zu gehen.
Immer im Vorteil dürften die pragmatischen „Mischer“ sein, während „reine Lehre“ wohl nur sehr selten umgesetzt werden kann.

Die Autoren schreiben nachvollziehbar, dass viele Pferde auch gar nicht (mehr) in der Lage sind, auf diese Weise zu lernen und mit Menschen, teilweise sogar nicht mit anderen Pferden, zu kommunizieren, weil sie entweder schon einen schlechten Start ins Leben hatten oder die übliche Behandlung durch Menschen ihnen jede Idee in dieser Richtung abgewöhnt hat.

Ein sehr, sehr lesenswertes Buch, finde ich. Der Teil, der sich damit beschäftigt, wie Pferde „an sich“ sind, wenn sie aufwachsen und leben dürfen, wie es ihrer Natur entspricht, sollte für alle interessant sein.
Was man draus macht, hängt sicher davon ab, wie stark die eigenen Abwehrreflexe sind.
Eingefleischte Horsemanshipler würden sicher ebenso viel Mühe haben, Knotenhalfter und Stick wegzulassen wie überzeugte Clickerer, ohne gefüllten Futterbeutel und Knackfrosch mit ihrem Pferd zusammen zu sein.
Wer Lust hat, lässt sich auf das Experiment ein, zieht mit seinen Pferd los, lässt die Futtertasche weitgehend zu und schließt sich soweit irgendwie möglich dem Roß an, wozu es sich entscheidet.

Gruß Katja

« Letzte Änderung: 26. Oktober 2021, 10:48:15 von francelaura »
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #4 am: 26. Oktober 2021, 09:34:21 »
Hmpf, müsste genau umgedreht sein, das letzte ist das erste usw. Vielleicht kann das ja noch wer richten  :cheer:
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #5 am: 26. Oktober 2021, 10:49:23 »
Die Reihenfolge sollte nun stimmen.
Liebe Grüße aus Niedersachsen - Fjord Freddy, Muli Ambra, New Forest Pony Asmara & Laura
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #6 am: 27. Oktober 2021, 09:57:02 »
Tut sie, danke  :click:
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #7 am: 29. Oktober 2021, 19:37:58 »
Danke für die ausführliche Besprechung! Das klingt sehr interessant und kommt auf meine Wunschliste...

Beste Grüße,
Dörte.
Lieber breit grinsen als schmal denken!  (B.Berckhan)
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #8 am: 02. November 2021, 15:12:49 »
Gaaanz bisschen passt auch Marlitts Text zum "Empowerment für Pferde" thematisch dazu, den sie vor kurzem in "R+" veröffentlicht hat
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #9 am: 02. November 2021, 15:36:58 »
Auch von mir vielen Dank für die ausführliche Rezension. Das ist auch auf meine Wunschliste gewandert, denn es klingt sehr nach etwas, das zu unserer derzeitigen Entwicklung passt.
Liebe Grüße Angela und das Traberbübchen
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #10 am: 03. November 2021, 09:08:45 »
Wenn ich deine Berichte lese und euch wandern sehe - scheint mir auch so, dass wir da grade sehr ähnlich unterwegs sind  ;)
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #11 am: 05. November 2021, 09:56:26 »
Nio und ich hatten gestern eine ganz tolle Zeit passend zum Thema, das muss ich unbedingt berichten 😊.

Ab Winterzeit sind bei uns Donnerstagabends Wippentraining und Tricks im Stall angesagt, weil ich da immer länger arbeite.

Nio soll das Wippen eigentlich „richtig“ unter Regines Aufsicht lernen, von wegen gymnastisch wichtig für spätere Reitpferdekarriere) und erstmal dachte ich an die 2-Bein-Wippe.
Mit Cello und Onki wollte ich gucken, was die nach etlichen Monaten Pausen noch so drauf haben (definitiv mehr als ich  :cheer:.
Da aber nun 4 von 5 Ponys hinter der geschlossenen Tür Schlange stehen, ergab es sich, dass nach Onki nicht wie geplant Cello reinkam, sondern Nio schneller war.

Kurz wurde mir etwas mulmig (relativ großes Pony, dass seinen Emotionen gerne deutlich und auch körperlich Ausdruck verleiht, in recht kleinem Raum und mittendrin die große freistehende unbekannte Wippe …).
Nach einen kurzen schrägen Blick auf das Teil hatte Nio dann auch sofort einen Huf drauf, noch bevor ich Cello die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Großer Ausschlag, deutliches Geräusch auf Betonboden, größeres „Huuuuuch?!“ beim Fohlen. Kleiner Sprung zur Seite, sehr schicker Kragen.
Bevor ich noch irgendwie irgendwas planen konnte, schaltete Nio aber sofort auf „das eigne ich mir jetzt an!“ um und ich dann fix auf „das machen wir zusammen“.

Nach keinerlei Regeln der Clicker-und Wippentrainingskunst, aber mit für meinen Verhältnisse viel Futter haben wir uns dann mit der Wippe beschäftigt. Fix noch zumindest an beiden Seiten je eine Matte runtergelegt, um den Ausschlag zu minimieren. Geräusch, Bewegung, Höhe waren schon unbekannt genug.
Sehr faszinierend, wie Nio sich konzentriert mit der Angelegenheit beschäftigt hat: Ansehen, überlegen, Huf drauf, belasten, reinfühlen, hinhören, Fuß wieder runter, auch mal abrutschen, rumgehen, an anderer Stelle drauf, beide Hufe drauf, bisschen Hüpfen, wenn Ausschlag an den Enden stärker  … Ich auch ab an Fuß drauf, bisschen bewegt, rumgegangen.
Keks gab`s, wie draußen, immer dann, wenn er mich anguckte und quasi bei mir nachfragte „Ist ok? Weiter so?“.

Ca. 10 Minuten waren wir so beschäftigt, zum Schluß stand Nio schön grade mit beiden Vorderbeinen mittig der Wippe, Hinterbeine noch unten, und ließ sich auch sehr gut rückwärts wieder runterbitten. Nach dem zweiten „runter“ hab ich dann zackig die Wippe hochgenommen und an die Wand gestellt – man soll ja immer aufhören, wenn`s am schönsten ist. Nios Blick sagte er „oooch, schade!!“

Es war ein intensiver Dialog, auf Nios Seite ohne Rempeln und Schnappen, ein deutliches Zeichen, dass es für ihnen sehr spannend, aber nicht streßig war. Dafür ein richtig strahlender Gesichtsausdruck.
Wir haben beide viel gelernt (bin sehr gespannt, wie das nächsten Donnerstag wird und ob er davon schon was für Unebenheiten draußen mitnehmen kann) ), aber niemand war „Lehrer“ (habe seit August immer Elsa Sinclairs eher ungewöhnliche Definition von „dominantem Training“ im Hinterkopf: „immer, wenn der Mensch der Lehrer ist“).
Ganz spontan, ohne jede Planung oder Zielvorstellung, aber ich schwebte danach auf Wolken.

LG
Katja
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #12 am: 10. November 2021, 11:20:12 »
Ich hab mal eine blöde Frage, ich weiß nicht, ob sie hier überhaupt richtig ist... in mehreren Threads betonst du, dass du ja eigentlich gar nicht so viel clickerst und im Vergleich zu allen anderen vieles ganz anders machen würdest. Aber ich frag mich, was genau findest du an dem Wippenvorgehen, sei denn so viel anders "nach keinerlei Regeln der Clickertrainingkunst"?

Okay, du hast nicht geclickt möglicherweise. Aber wenn ich anhand der Lernquadranten denke: Du hast ihn nicht auf die Wippe gescheucht in dem du ihm Druck gemacht hast und damit aufgehört, wenn er auf der Wippe war (negative Verstärkung), du hast ihn nicht gehauen, wenn er sich mit der Wippe nicht beschäftigt hat (positive Strafe). Was denkst du denn, sei so viel anders als das was die meisten hier machen?
Ich frage nur, weil deine Beiträge auf mich oft so rüberkommen, als fändest du vieles, was hier besprochen wird, eher unnötig und nicht passend für dich. Und wenn ich deine Beiträge lese, frage ich mich, was dich genau dann unterscheidet...

Edit: Clickertraining ist ja erstmal nur positive Verstärkung. Ich füge etwas positives hinzu. Ob ich das nun über Futter, Streicheln oder sonstwas mache oder mit Zungenclick, mechanischen Clicker oder gar nicht ist ja erstmal ein bisschen egal... oder? :juck:

« Letzte Änderung: 10. November 2021, 11:43:04 von SaBo »
Viele Grüße und bleibt gesund!

Sarah
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Re: "Equus Lost"
« Antwort #13 am: 10. November 2021, 14:54:39 »
Korrigiert mich, wenn ich da teilweise falsch liege - Buchstudium liegt etwas länger zurück, den auf Halde liegenden Film von Nina hab ich noch nicht geschafft, meine Shettis konnten vor Beginn des konkreten Wippentrainings mit Trainerin schon so allerlei, da haben wir auch nicht ganz von vorn angefangen  ...

Wippentraining, ich sag mal so, Original nach Nina, sieht doch eher so aus, dass es es zielführend und im Sinne von "fehlerfreies Lernen" aufgebaut ist (da das Ganze ja gymnastischen Wert haben soll, ohne Zweifel dann auch genau richtig): erstmal freies Gehen und Anhalten und Beine einzeln setzen trainieren, Übungen "instabile Unterlagen" mit Matten vorweg, 1 Bein drauf, 2 Beine  drauf , 3 dann 4, ggf. dazwischen immer wieder zurück in die Sicherheit schicken, Wippe zuerst feststellen, dann langsam mehr Spiel zulassen. Ggf. mit Pylonen den Weg zum graden Betreten der Wippe vorgeben usw. Mensch ist fokussiert und konzentriert, hat die einzelnen Schritte vor Augen und einen Plan.

Scharren, schräges Betreten der Wippe, eigenständiges Rüberpoltern, vielleicht auch mal abrutschen sollte vermieden werden. Pferd soll nicht rumexperimentieren, sondern sicher das vom Menschen Gewünschte lernen.

Für Nio und mich war es dagegen eher, nun ja, Selbsterfahrungsaktion. Nio konnte vorgehen, wie er es für richtig hielt, ist halt auch mal abgerutscht und hat sich kurz erschreckt und sich in seinem Tempo mit dem Teil vertraut gemacht. Hätte er vermutlich auch ohne Kekse. Für mich war es sehr wichtig (alldieweil ich schon ein ziemlicher Schisser bin) zu sehen, mit welcher Souveränität und Selbstsicherheit er das gemacht hat. Das ist schon bei ihm "Voreinstellung ab Werk", aber je öfter ich ihn dabei erlebe und je öfter ich ich mich auch traue, das zuzulassen, umso mehr wächst auch mein Vertrauen darin, dass er immer mehr Situationen auch unterwegs so bewältigen wird.

Gestern habe ich mich in "unserem" Waldstück (gehört unserem Verpächter und wir dürfen da nach Herzenslust rumkraxeln) dann auch wieder getraut, ab vom Weg schon mal in die leichten Steigungen, Senken, liegende Stämme reinzugehen und zu Nio quasi zu sagen : guck`s dir an und probier los, wie das zu bewältigen ist.
Ich war durchaus vorbelastet, bei er bei Aufregung schon gern dynamisch nach vorne springt oder mit dem Kopf schubst. Mir gebrach es also auch noch etwas an Souveränität, aber  Pony war so beschäftigt damit, im Laub zu wühlen, rumzuwandern (und Brombeerblätter zu pflücken), dass auch ich zunehmend entspannter wurde.
Gefüttert hab ich natürlich auch  - und das ist bei mir wie gesagt auch oft "Streßfüttern", das hoffentlich weniger wird.

So, noch mal deine Frage beguckt - hm  ... da stellt sich mir jetzt grade die Frage: War das, was Nio und ich mit Wippe und im Wald gemacht haben, denn jetzt eigentlich "Training" im eigentlichen Sinn ...  ??? Hm. Im Sinne von "auf konkretes Ziel hinarbeiten" sicher nicht. Gelernt haben wir viel.

Und dann stört mich auch noch bei "Tiere (und Menschen) tun was sich lohnt - entweder unangenehmes vermeiden oder angenehmes bekommen", dass eine dritte Möglichkeit außer Acht gelassen wird: tun, weil es einem Spaß macht, Befriedigung verleiht, einem interessant erscheint, körperlich, seelisch, geistig angenehm ist. Ohne das jemand anders dass positiv oder negativ verstärken muss.

Wie vieles sicher Definitionssache - und ganz schwer abzugrenzen.

Aber du hast es schon richtig erkannt: Ich finde vieles super beim Clickertraining - für das was wirklich "trainiert" werden soll/ muss.
Aus der "intensiven Phase" bin ich aber inzwischen raus und interessiere mich derzeit mehr dafür, was es sonst noch für Wege gibt, mit Pferden zu kommunizieren. Außer "mit Druck" und "mit Futter" gibt`s da ja noch so allerlei.

Das ist ist natürlich ein Clickerforum, deshalb bin ich in dieser Richtung wohl eher allein unterwegs. Aber hier sind so viele nette Leute  ;).

LG
Katja






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Re: "Equus Lost"
« Antwort #14 am: 10. November 2021, 15:14:01 »
Da möchte ich mal von außen einwerfen, dass auch eine Nina nur ein Mensch ist und ihren für sie passenden hoch effizienten Weg des Trainings gewählt hat. Die Bandbreite des Möglichen ist da doch durchaus sehr viel größer und komplexer  ;) Es wäre also sehr schade, Clickertraining und positive Verstärkung nur auf diese Herangehensweise zu beschränken.

Und - zumindest wenn man sich auch etwas internationaler umtut - gehören Facetten wie Entdeckungsfreude, Selbstwirksamkeit, Wahlfreiheit, Kontrolle [...], oft zu finden unter dem Oberbegriff Choice & Controll, selbstverständlich mit unter den Regenschirm der positiven Verstärkung. Auch etwas zu tun, einfach weil man (Pferd) es kann, kann hoch verstärkend sein. Und die Gelegenheit dazu zu bieten ein hochwertiger Verstärker.

Ich möchte nicht zu weit ins OT abdriften, da es hier um ein Buch geht, aber ich finde die Frage sehr spannend und wichtig. Gefühlt wird die positive Verstärkung und das Clickertraining oft an so vielen Stellen rein auf dieses hoch fokussierte und konzentrierte Erarbeiten einzelner konkreter Kriterien beschränkt. Dabei findet Lernen, und Training, doch immer statt.
LG Tine
Krümel, Alkmene & Mucki

Ab und zu ist es gut, in unserem Streben nach Glück innezuhalten und einfach glücklich zu sein. ~ Guillaume Apollinaire
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