Ich bin nicht sicher, welche meiner Pferde noch als Jungpferde zählen. Jolie zum Beispiel wird im Juni fünf, aber ich sehe ihn irgendwie nicht als Jungpferd. Hab ich noch nie. Mit ihm war schon von Anfang an, als er zwei war, alles so normal und einfach. Er ist ein kleiner Sonnenschein, der alles prima findet und nur selten mit irgendwas ein Problem hat. Er ist zwar ein kleiner fröhlicher Spieli, aber im Gegensatz zu Aahnuu nicht besonders neugierig, sondern einfach gelassen. Ihn würde ich hier also mal ausklammern.
Maymun wird im Mai vier, aber auch bei ihm fühlt es sich komisch an, ihn als Jungpferd zu bezeichnen. Er hieß bei uns lange Zeit "Fohli", aber seit Aahnuu vor einem Jahr angekommen ist, ist er unser Ankerpferd geworden. Durch mehrere hundert Spaziergänge kennt er einfach schon viele Dinge und deswegen habe ich nicht das Gefühl, mit ihm besonders viele typische Jungpferde-Themen zu haben. Im Gegensatz zu Jolie und Aahnuu ist mit ihm nicht alles leicht und für ihn ist auch nicht immer alles prima - er ist eher skeptisch, findet Neues potentiell erstmal gruselig und es kommt mir so vor, als könne man seine Gefühle sehr leicht verletzen, wenn man unachtsam ist. Bei ihm bin ich oft froh, in den meisten Situationen ziemlich genau zu wissen, was ich tue und wie ich potentiell gefährliche Situationen in konstruktive Bahnen lenken kann. Ich denke, dass er auch gut ein gefährliches Pferd werden könnte, einfach weil er im Zweifelsfall eher abschaltet und die Kommunikation abbricht. Bei ihm ist es wahrscheinlich noch wichtiger als bei vielen anderen Pferden, dass ich immer seine Aufmerksamkeit bekommen kann und dass wir das im Normalfall so bis ins Detail üben, dass es im Sonderfall dann Routine ist. Aber ob das spezielle Jungpferde-Themen sind?
Aahnuu ist für mich ein richtiges Jungpferd. Er wird Ende April zwei und obwohl auch er auf Spaziergängen inzwischen eine Menge Routine hat, kommt es mir so vor, als ob er die Welt noch mit neugierigen Kinderaugen sieht. Alles ist spannend, alles muss erkundet werden. Etwas Neues? Ja, lass uns hingehen! Durch sein grundlegendes Interesse an Dingen und Menschen und seine positive Art ist er wahrscheinlich das einfachste Pferd, das ich je hatte.
Angeregt durch den Thread habe ich mich gefragt, ob es irgendwelche generellen Dinge gibt, die ich über meinen Umgang mit Jungpferden sagen könnte. Also Dinge, die wirklich jungpferdespezifisch sind. So richtig weiß ich es immer noch nicht, also picke ich einfach mal ein Beispielthema heraus: Ein vielleicht grundlegender Unterschied zu dem, was ich über Jungpferde sonst oft lese, ist unser trichterförmiges Vorgehen - von der Gesamtaktivität zum Detail, anstatt andersrum. Ich hab oft den Eindruck, dass viele Menschen so vorgehen, sich ihre Aktivitäten aus kleinschrittig erlernten Übungen zusammenpuzzeln. Erst verschiedenste Dinge in sicherer Umgebung und mit minutiös gesteigerten Anforderungen einzeln lernen, dann kombinieren, und dann vielleicht irgendwann, wenn alle Details sicher sitzen, sowas machen wie ins Gelände gehen.
Unser Vorgehen ist genau umgekehrt. Klar, ein paar Basics haben wir auf der Koppel geübt, aber bereits an Tag 2 nach der Ankunft des jeweiligen Pferdes sind wir raus ins Gelände gegangen und im Laufe der ersten Woche wurden daraus dann vollständige Spaziergänge von einer Stunde oder mehr und in variablem Gelände. Die Gesamtaktivität war also von Anfang an da. Aber das heißt nicht, dass meine Pferde das, was andere über Monate oder Jahre lernen, bereits nach wenigen Tagen können. Anstatt dessen ist es bei uns so, dass es am Anfang ganz viel Unterstützung und nur sehr geringe Anforderungen gibt. Zum Beispiel dadurch, dass ein erfahrenes Pferd dabei ist und das Jungpferd zunächst mal einfach nur mitlaufen muss. Diese Unterstützung betrifft nicht nur emotionale Themen (Sicherheit in fremdem Gelände), sondern auch die ganze motorische Kontrolle. Zum Beispiel Anhalten ist einfach so viel leichter, wenn neben einem nicht nur ein Mensch, sondern auch das andere Pferd anhält. Auch wie man mit verschiedensten Geländehindernissen umgeht, kann man sich einfach beim erfahrenen Pferd abschauen. Wenn so ein Maymun auf einen Stein klettert, dann ist es für Aahnuu doch naheliegend, da auch hoch zu wollen. Das Jungpferd muss also anfangs gar nicht so viele Ideen generieren und Entscheidungen treffen, sondern einfach nur mitmachen. Im Laufe der Zeit wird dann Schritt für Schritt die Unterstützung ausgeblendet. Also Aahnuu wird zum Beispiel auch mal etwas gefragt, das Maymun gerade nicht macht, so dass sich die Kommunikation mit dem Menschen langsam verselbständigt.
Mich erinnern diese unterschiedlichen Herangehensweisen an eine alte Kontroverse aus der pädagogischen Psychologie. Dort gibt es ein Lager, das eher die Puzzle-Sichtweise vertritt: der Lernende sollte erst die Komponenten-Aktivitäten einzeln üben, so dass er sie dann gut kann und zur Verfügung hat, wenn er in komplexeren Situationen handeln soll. Das andere Lager vertritt eher die Auffassung "das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" und geht davon aus, dass man Problemlösen am besten durch Problemlösen lernen kann. Hier gibt es dann Modelle, wie man Lernaktivitäten so aufbauen kann, dass der Lernende von Anfang an die vollständige Aufgabe durchläuft, aber die Schwierigkeit und das Maß an Unterstützung systematisch variiert werden. Wie bei so vielen Themen sind die Verfechter beider Herangehensweisen sehr von ihrer Variante überzeugt, aber wie bei so vielen Themen zeigt sich auch hier, dass beide Varianten funktionieren. Zwar mit Ergebnissen, die sich vielleicht in spezifischen Merkmalen unterschieden und sicher auch nicht beliebig austauschbar sind. Aber groß werden die Kinder dennoch alle und erfolgreiche Problemlöser können so oder so entstehen.