Clickerforum

Clickertraining im Alltag => Clickertraining allgemein => Thema gestartet von: Ehemaliges Mitglied 1333 am 14. April 2022, 08:29:02

Titel: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Ehemaliges Mitglied 1333 am 14. April 2022, 08:29:02
Hallo ihr Lieben,
mein „Pony“ und ich sind erst seit Kurzem ein Team. Ich habe ihn übernommen um ihn aus seinem echt öden Alltag zu erlösen, denn mit ihm wollte keiner mehr arbeiten. Er ist ein ganz Lieber und auf dem Paddock haben wir auch schon richtig gute Fortschritte gemacht. Wir haben zum Beispiel durch Clickern aus einem 2,5 Stunden Hufschmiedkampf ein wirklich handelbares Szenario geschaffen - selbst der Schmied war platt wie gut das in so kurzer Zeit schon geworden ist.
Nun ist unser größtes Problem folgendes: Es ist unmöglich, Colyn alleine vom Paddock Richtung Reitplatz oder Roundpen zu führen. Er regt sich furchtbar auf (und die beiden zurückgebliebenen Herdenmitglieder auch, was es natürlich nicht besser macht) und rennt einfach los. Gestern habe ich ihn 3 Meter vom Paddock entfernt geführt und er durfte kurz grasen, dann hat er wohl entdeckt, dass das Gras woanders grüner ist und weg war er. Er ist dann zu der Herde unterhalb unseres Paddocks gerannt und hat am Zaun bei denen ordentlich Rabbatz gemacht. Er ließ sich dann erstmal garnicht mehr holen, ist ständig am Zaun entlang galoppiert und hat gebrummt. Ich hatte ihn dann zwei Mal und er kam auch mit, hat sich dann aber gleich wieder losgerissen. Er ist der Ranghöchste seiner kleinen Herde und mMn hat er ein ordentliches Respektsproblem im Verbindung mit „Ich muss auf meine Herde aufpassen und kann leider nicht mit dir kommen“. Wir müssten dringend auf den Reitplatz um dort Bodenarbeit zu machen und ein
bisschen abzuspecken. Nun meine Frage: wie kann ich den Clicker für dieses Problem nutzen? Ich muss sagen, das gestern hat mich schon wieder so demotiviert und ich brauche für mich einen Plan, wie wir das bearbeiten und wo ich auch kleine Erfolge verbuchen kann. Es ist mir egal, wie lange es dauert, ich möchte aber nicht ständig trial and error haben, sprich - ich möchte ihn nicht jeden Tag rausholen und es ist ein Glücksspiel ob er bei mir bleibt oder wieder andere Pläne hat… zumal das ja auch gefährlich werden kann, wenn ein 1,75 großes, knapp eine Tonne schweres Kaltblut Alleingänge unternimmt. Ich hab ihn wirklich lieb und er ist auch ein tolles, feinfühliges Pferd in dem ganz viel Gutes steckt.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Rüsselnase am 14. April 2022, 08:48:19
Hallo Anni
Das klingt ganz so, als habe der Gute gelernt, dass Menschen zwar da, aber nicht ernst zu nehmen sind  :lol: Interessante Kombi, wenn eine Tonne Pferd loslegt.
Wie ist denn Euer Equipment? Auch wenn es nicht schön ist - aus Sicherheitsgründen könnte es hilfreich sein, zunächst mal etwas Meinungsverstärkendes anzubringen. Nicht als Quälerei, sondern als "Hallo, der Mensch hier ist da und hat was zu sagen, bitte hör' mir kurz zu". Das muss keine fiese Kette sein, da reicht z. B. auch ein Kappzaum, an dem der Strick auf der Nase befestigt ist, so dass er einen anderen Winkel bekommt. So habe ich mein Pony u. a. überzeugen können, dass Losreißen keine Option mehr ist. Solange sich Dein Dicker (liebevoll gemeint!) erfolgreich davon macht, ist es selbstbelohnend, wenn er am Gras ankommt und das Verhalten verstärkt sich.

Habt Ihr die Möglichkeit, ihn zunächst mit einem zweiten Pferd aus seiner Herde vom Paddock zu holen? Dann wäre dort eine Routine sinnvoll. Beispielsweise Aufhalftern (-kappzaumen)  :keks: Warten, bis das zweite Pferd so weit ist  :keks: Vor dem Tor 3 Schritte rückwärts  :keks: Tor öffnen, Pferd wartet  :keks: usw. Verstehst Du, was ich meine? Anfangs keine Riesendinge erwarten, sondern auf korrekte Ausführung der kleinen Dinge beharren. Ist ggf. sehr langwierig, aber nachhaltig  :nick:
Wenn der Bub zuhören gelernt hat, kann man diese für Euch beide verlässliche und somit Sicherheit gebende Routine auch alleine anwenden.
Besteht die Möglichkeit mit dem zweiten Pferd nicht, könnte man das Putzen etc. an den Paddock verlegen? Dass der Bub erstmal nicht mit der Sorge um seine Herde umgehen muss, sondern sich auf der Außenseite des Paddocks bei seiner Herde auf Deine Anfragen konzentrieren lernen kann.

Spannende Aufgabe  :D Ihr schafft das :aufblas:
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Ehemaliges Mitglied 1333 am 14. April 2022, 09:44:42
Vielen Dank für deine Antwort!
Ja, genau das trifft es ganz gut. Er findet Menschen ganz nett, aber sagen lässt er sich nicht so viel. Wir putzen ihn immer auf dem Paddock, ich habe da auch schon Führtraining mit ihm gemacht und das klappt dort vorbildlich 😅 sogar Freiarbeit geht, solange er in seinem gewohnten Terrain mit seinen „Leutchen“ ist und die entspannt sind. Er kommt und steht auf Zuruf, geht hinter mir und hält auf Kommando an, das ist wirklich toll, aber toller wäre es, wenn er das auch außerhalb des Paddocks machen würde 😁
Einen Kappzaum zu besorgen gestaltet sich gerade äußerst schwierig. Ich will einen mit festem Eisen oder Glasfaserstück für den Dicken und habe sowohl bei Hillbury als auch equimero angefragt - das wären, wenn überhaupt Sonderanfertigungen. Hillbury hat mir schon ne Absage erteilt, bei equimero warte ich noch auf Amtwort.
Deine Vorschläge werde ich auf jeden Fall mal übernehmen. Zweites Pferd geht leider gerade auch nicht, denn die sind nur zu dritt und wenn einer übrig bleibt ist alles zu spät 🙈 alles etwas schwierig gerade 🤷‍♀️
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: eboja am 14. April 2022, 10:02:01
Hallo Anni,

lese ich das richtig heraus, dass in den letzten Monaten / Jahren mit ihm kaum etwas gemacht wurde und er den Paddock kaum verlassen hat?
Wenn dem so ist, würde ich nicht unbedingt in die Richtung denken, dass er auf seine Herde aufpassen will, sondern dass er alleine einfach unter Stress steht, weil er sich in einer für ihn komplett ungewohnten Situation befindet.

Das gibt Dir natürlich auch keinen greifbaren Handlungsansatz, aber vielleicht einen anderen Blick auf das Problem. Insofern würde ich wohl auch in sehr sehr sehr kleinen Schritten arbeiten und mit ihm erstmal nur durch das Tor, direkt dahinter stehen bleiben, vielleicht eine Lieblingsübung machen (kann er ein Target anstupsen?) und wieder zurück. Und dann wieder raus, auch wieder direkt stehen bleiben usw. Und wenn er direkt hinter dem Tor entspannt ist, dann einen Schritt weiter gehen. Aber halt auch nur einen Schritt.

Viele Kaltis sind ja "stille Stresstypen", denen man den Stress nicht so ansieht, wie einem explosiven Araber oder Spanier (kleine Drama-Queens, habe selbst einen  :cheese:). Das könnte es zu Beginn schwierig machen, einzuschätzen, ob er noch entspannt ist, oder schon aufgeregt.

Einige haben mit ihren Pferden eine Art "Schnuller" oder "Kuscheltuch" trainiert, d.h. ein Verhalten, das sehr, sehr sehr hoch bestärkt wurde und lange, lange, lange geübt wurde (z.B. Kopfsenken oder Handtarget anstupsen), so dass das Pferd das Verhalten in verschiedenen Situationen auch selbst anbietet - und auch gerne in stressigen Situation, so dass man gut erkennen kann, dass jetzt für das Pferd die "Aushalte-Grenze" erreicht ist.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Ehemaliges Mitglied 1333 am 14. April 2022, 12:14:37
Hallo und vielen Dank für deine Impulse!
Ja genau, er steht seit knapp einem Jahr auf dem Paddock, davor ist er 4 Mal kurz hintereinander umgezogen und zu allem Elend ist dann noch sein bester Kumpel (der den letzten Umzug mitgemacht hat) ganz tragisch ums Leben gekommen und Colyn war dabei. Wir beide Challengen uns wohl gegenseitig, denn bei ihm braucht man einfach sehr viel Geduld 🙈 ich merke, dass er Spaß daran bah, beschäftigt und geistig gefordert zu werden und glaube, dass wir das auch wirklich hinbekommen können. Kleine Schritte sind wohl wirklich das, was er braucht. Das Targettraining wird vielleicht tatsächlich das erste sein, was wir jetzt auf dem Paddock nochmal vertiefen.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Shotlandpony am 14. April 2022, 12:19:38
War auch mein erstes Gefühl - er fühlt sich nicht sicher allein, kennt das Leben draußen nicht, ihr seid noch nicht lange zusammen, so dass da auch noch kein gewachsenes inniges Vertrauensverhältnis bestehen kann.
Ist die Herde auch neu und lebt er schon länger auf dem Hof? Falls nicht, kann ein Stallwechsel ja auch Verlustängste hervorrufen.

Aus eigener Erfahrung wäre mein Tipp ebenfalls: ganz, ganz kleinschrittig die Komfortzone erweitern und zwar so, dass ihr euch beide wohl und sicher fühlt. Lieber erst mal nur Minuten und Meter täglich, mit Erfolgserlebnis wieder zurück in den Paddock  und so Sicherheit gewinnen.
Möchte mir gar nicht vorstellen, wie ich mich bei einer Tonne unsicherem Pferd fühlen würde - letztes Jahr war ich mit 1,40 m anfangs nur noch ein Nervenbündel.

Hinsichtlich "Riesenkappzaum" kann ich meine Freundin fragen - ihr 750-Kilo-Riesenschädel-Tinker ist ausstattungsmäßig auch eine ständige Herausforderung.
Für meinen "Lütten" habe ich mir auch ein Kappzaum besorgt, den ich draufmachen werde, wenn wir uns wieder der kritischen Zone nähern werden. Im Moment machen wir an anderen Orten anderes, weil ich Losreißproblematik ganz ganz unerfreulich und auch gefährlich finde und erstmal Auslöser-Situationen meide.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Shotlandpony am 14. April 2022, 12:20:23
Ahem, Herdenfrage inzwischen beantwortet ;)
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Shotlandpony am 14. April 2022, 15:07:16
Den Kappzaum hat meine Freundin:
https://www.el-mosquero.de/Kappzaeume-Vorfuehrzaeume/Kappzaeume/Kappzaum-ohne-Zaehne-CAG-Plana-3-P::460.html

Nasenbügel war allerdings zu eng und nicht einfach, einen Sattler zu finden, der ihn weitet. Ist einer aus Hamburg gekommen, geguckt, mitgenommen, geändert und ihr wieder geschickt
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Rüsselnase am 14. April 2022, 15:12:00
Für Equimero sollte die Sonderanfertigung kein Thema sein, machen die ja ständig. Auch für Kühe etc. Und ich liebe liebe liebe den Equizaum! So flexibel und vielseitig  :D
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Shotlandpony am 14. April 2022, 15:37:03
Machen die auch mit Metallnasenbügel ...? Ich habe da so angenehm weiche Teile vor Augen ...
Ich vermute, ohne "fiesen Bügel" hat man keine Chance, wenn es wirklich darum geht, einem Losreißer klar zu machen, dass das keine Option sein kann.
Wie mehrfach gesagt, geht es in solchen Situationen ja nicht um "Training" (das natürlich parallel laufen soll), sondern um die letzte Sicherung, bevor möglicherweise etwas wirklich unerfreuliches passiert.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: classic am 14. April 2022, 16:00:29
Ja, es gibt den Equizaum mit normal weichem Nasenriemen, mit Glasfasernasenbogen und mit Metallnasenbogen. Es ist keine Serena oder ein Naseneisen mit Gelenk(en), sondern ein biegsamer Streifen in die Polsterung eingenäht, aber in letzter Zeit haben sich einige Leute beschwert, dass das Metall offenbar fester geworden ist und nur noch mit viel Kraft an die Nase angformt werden kann. Dürfte also schon stabil sein.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Rüsselnase am 14. April 2022, 16:38:49
 :nick: Ist stabil, habe alle 3 Varianten getestet. Für uns reicht der Glasfaserbogen, Lucca ist der Metallbogen zu starr, den mag er nicht so gerne. Ich wechsle zwischen ganz ohne und dem Glasfaserbogen. Und es sind immerhin 500 kg, die im Zweifel ohne den Menschen versuchen zu gehen  :P
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Libelle2006 am 14. April 2022, 22:03:09
Ich hab für mein Pony den Kappzaum von Babette Teschen und ich meine auf ihrer Website sind auch Bilder von sehr großköpfigen Pferden mit diesem Kappzaum.
Da sich mein Pony auch schon mal los gerissen hat und sie generell ein eher ängstlicher Typ ist, gehen wir fast immer mit diesem Kappzaum spazieren, weil es mir ein Gefühl der Sicherheit gibt. Für uns passt das so super, in brenzligen Situationen sitzt er fest auf dem Nasenrücken und fängt nicht das Rutschen an! 😊
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Lisa am 14. April 2022, 22:41:01
Bei Tajara Horseware könntest du auch mal schauen. Soweit ich weiß machen die auch massgefertigte Kappzäume. Es gibt aber auch die Größe Shire Horse. Und sie sind günstiger als Equimero.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Buschpony am 15. April 2022, 08:41:07
Ist es evtl möglich, daß du für eine Übergangszeit alle 3 Pferde auf den Reitplatz holst? Um deinem Kumpel zu zeigen, daß auch woanders "Herde" sein kann, und auch woanders Mitarbeit möglich ist? Kann sein, daß du auch das in etliche Teilschritte unterteilen solltest, also u.U. nicht direkt beim ersten mal Bodenarbeit von ihm verlangen.
Für alle 3 kann das eine sinnvolle Übung in Richtung Alleinebleiben sein, weil du ja vermutlich nicht alle 3 Pferde gleichzeitig führen wirst. So lernen sie, daß sie immer wieder in ihre Gemeinschaft zurückkommen, auch wenn sie mal einen Ortswechsel haben.

Beste Grüße,
Dörte.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: AngelaZ. am 15. April 2022, 10:51:02
Die Idee von Dörte finde ich sehr gut, alternativ noch sehr viel länger auf dem Paddock bleiben und kennenzulernen.
Kein Ausrüstungsgegenstand der Welt hält ein Pferd auf, das mit allem was es ist und hat weg will. Eigene schmerzhafte Erfahrung - ist mir der Bub erschrocken, aus dem Stand in den Galopp und dahin war er, mit Kappzaum und allem.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Ehemaliges Mitglied 1333 am 15. April 2022, 17:44:21
Also mal ein kurzes Update: equimero „baut“ uns einen Maß-Kappzaum ohne Aufpreis  :lol: :dops:

Dann waren wir heute erneut vor der Tür, diesmal hat ihn mein Mann gehalten. So schnell konnten wir garnicht kucken, war er weg. Ich hab ihn genau beobachtet - er war weder besonders nervös noch wollte er zur Herde zurück. Er wollte Gras und mein Mann wollte das nicht, also hat Colyn sich gedacht, er geht mal alleine los.
Ich habe wirklich das Gefühl, da geht’s um Dominanz und Respekt…
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: francelaura am 15. April 2022, 20:09:31
Dann waren wir heute erneut vor der Tür, diesmal hat ihn mein Mann gehalten. So schnell konnten wir garnicht kucken, war er weg. Ich hab ihn genau beobachtet - er war weder besonders nervös noch wollte er zur Herde zurück. Er wollte Gras und mein Mann wollte das nicht, also hat Colyn sich gedacht, er geht mal alleine los.

Es kann natürlich schon sein, dass er vorsorglich das Weite gesucht hat. Gerade wenn die vorherigen Male sehr stressig waren.
Oder er hatte Stress und ist (wie Eboja schon geschrieben hat) vielleicht ein passiver Stresstyp, dem man den Stress lange nicht anmerkt, bis "es explodiert".

Dazu zwei Artikel von Marlitt Wendt/R+:
Ausdrucksverhalten des Pferdes bei Stress (https://rplus.click/ausdrucksverhalten-pferd-bei-stress)
Ist mein Pferd "ruhig" oder "nervös" (https://rplus.click/ruhig-oder-nervoes)


Ich habe wirklich das Gefühl, da geht’s um Dominanz und Respekt…

Die Denke "Dominanz und Respekt" habe ich glücklicherweise aus meinem Kopf verbannen können. Sie ist meiner Meinung nach nicht hilfreich.

Dazu zwei Artikel von Sylvia Czarnecki/motionclick.de:
Dominanz und Rangordnung im Pferdetraining (https://www.motionclick.de/blog/dominanz-und-rangordnung-im-pferdetraining/)
Vom Umgang mit dominanten Pferden (https://www.motionclick.de/blog/vom-umgang-mit-dominanten-pferden/)

Da ihr euch noch nicht lange kennt, würde ich noch deutlich mehr Zeit in die Grundlagen investieren, auf dem sicheren Paddock, und in kleinen Schritten das Draussen erobern (wie es Eboja schon beschrieben hat).
Und falls machbar auch mit allen Dreien zum Reitplatz, wie das Dörte geschrieben hat.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: classic am 15. April 2022, 20:29:17
Super, dass ihr einen Kappzaum bekommt. Wird's bunt?

Wenn er es macht um zum Gras zu kommen, geht es nicht um Dominanz und Respekt, sondern um Ressourcen und Impulskontrolle. (Es sei denn, du meinst mit Respekt Angst vor Konsequenzen, die den erreichbaren Verstärker nicht wert sind, aber das wäre unschön, das glaub ich nicht.)
Trotzdem würde ich Stress nicht per se komplett ausschließen. Manchmal ist extreme Fixierung auf eine Ressource Symptom dafür. Und Kaltblüter sind passive Stresstypen, da sind die frühen Warnzeichen oft sehr subtil.

Grastraining ist echt nicht einfach, besonders im Frühling mit einem Diätkandidaten, und es dauert auch. Hast du die Möglichkeit, die Situation über Management zu entschärfen? Zu zweit links und rechts bis zum Reitplatz führen, möglichst kurze Wege, Dauerfüttern, falls bereits aufgebaut Halftergriff mit kurzen Intervallen, ehrliches Locken,... Also insgesamt die Rahmenbedingungen so setzen, dass es möglichst einfach für euch beide ist.

Kennt er bereits stationäre Targets? Die können oft gut helfen, wenn man heil von A nach B kommen muss. Du kannst sie anfangs beliebig nah beieinander positionieren, sodass zwischen den Loops keine Zeit zum Ausklinken ist, ihr aber trotzdem Strecke macht. Wenn das sicherer wird, stellt man die Targets nach und nach weiter auseinander.
Parallel dazu kannst du dann z.B. am Reitplatz Impulskontrolle bei Futter aufbauen. Anfangs mit sehr niedrig fertigem Futter z.B. ein paar Stengel Heu in einer Schüssel, die einfach da sind, während ihr was anderes übt. Dann nach und nach die Wertigkeit des Futters erhöhen. Unbedingt mit sehr kurzen Einheiten beginnen.
Das ist keine einfache Übung und es passiert sehr leicht, dass der Trainee dabei frustriert wird. Das ist kein Charakterfehler ("der kann sich nicht beherrschen") sondern Impulskontrolle kann man sich vorstellen wie ein Muskel. Muskulatur muss man ja auch vorsichtig und kontinuierlich trainieren, damit zwar eine Leistungssteigerung eintreten kann, es aber nicht zu Verletzungen oder Übersäuerung kommt, die den Fortschritt zurückwerfen.
Titel: Re: Clickern beim Herdenchef
Beitrag von: Shotlandpony am 28. April 2022, 10:00:49
Das zum Gras abhauen kann natürlich wirklich einen ganz prosaischen Grund haben: Gras ist jetzt derart lecker, dass alles andere weniger wichtig ist und für`s Mampfen allerlei Ungemach in Kauf genommen wird.
Das ist dann nicht gegen den Menschen gerichtet, sondern sorgt für die Verbesserung des Wohlbefindens des Pferdes.
Wenn man erst mal die These "Verhalten Pferd richtet sich gegen Menschen" gegen "Verhalten Pferd soll dessen Überleben sichern" ausgetauscht hat, ist es leichter, "Fehlverhalten" nicht persönlich zu nehmen, sondern aus Sicht des Pferdes zu betrachten.

Ist er überhaupt (schon) auf Koppel oder hat nur Heu im Paddock? Falls ersteres: Trainingseinheiten so planen, dass Pferd schon möglichst lange vorher  gegrast hat. Falls letzteres, würde das die große Gras-Gier ja noch mehr erklären. Vielleicht wäre es dann eine Möglichkeit, erst mal nur zu versuchen, geordnet gemeinsam das Gras zu erreichen, ein Zeichen für „Gras-Erlaubnis“ zu installieren (meins ist: Anhalten, Strick locker, mit Hand runter zum Boden gehen)  und erstmal einige Zeit gemeinsam „zu grasen“. Für das Ende müsste dann auch Zeichen installiert werden (Wort, Fuß vorsichtig unter Kinn schieben und Strick hoch, wenn Pferd darauf Kopf hebt o.ä.).

Viele nichtclickernde Menschen setzen Futterlob ja auch in der Form ein, das das Pferd nach erbrachter Leistung auf Zeichen grasen darf.

Das ist natürlich jetzt sehr theoretisch und in einer eventuellen Kombi „Großer Appetit/ fehlende Erziehung/ 800 Kg/ sehr positiv verstärkte Losreiß-Erfahrungen“ auch sehr anspruchsvoll.
Die Alternative, nur dort mit ihm was zu machen, wo weit und breit kein verlockendes Gras ist, ist im wirklichen Leben ja meist keine.