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Cross-over-Pferd ...

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Re: Cross-over-Pferd ...
« Antwort #30 am: 26. November 2019, 22:02:18 »
Ich bin als Mitreiterin einer ab-und-zu geclickerten Stute zum Clickertraining mit Pferden gekommen. Als deren Besitzerin nach Jahren die ganze Kommunikation auf Clickern und positive Bestärkung umgestellen wollte haben wir uns zusammen gesetzt und besprochen, was wir uns jeweils darunter vorstellen, was unsere Ziele sind und wie wir diese Erarbeiten können. Die Frage "Möchtest du diesen Weg mit uns gehen?" stand offen im Raum, und ich habe mich dafür entschieden. Es folgte eine unglaublich intensive Zeit. Ich habe es als sehr bereichernd erlebt, wie diese Art der Kommunikation auch abgesehen von Zirkuslektionen ihre Wirkung entfaltet und mein Weltbild verändert.  :huepfherz:

Nun ist es fast ein Jahr her, dass Fanny uns für immer verlassen hat, und beim Einzug des Pferdekindes war ganz klar, dass es von Anfang an mit positiver Verstärkung ausgebildet wird.


Ich bin aber seit dem Winter auch mehrmals die Woche bei einer Criollodame, die bis dahin nur mit negativer Verstärkung gearbeitet wurde. Sie ist die Herdenchefin, steht den ganzen Tag bei den Heunetzen und verteidigt diese mit angelegten Ohren und gebleckten Zähnen.  :mycandy:  Leider ist das Bild, das die Menschen in der Haltergemeinschaft von ihr haben, auch dem entsprechend. "Bei der muss man sich durchsetzen, sonst tanzt einem die auf der Nase rum."  :tap:  Ich darf sie mit positiver Verstärkung arbeiten und mache das auch ausnahmslos. Die Besitzerin sieht uns immer wieder beim Training zu und fragt auch nach, was wir da tun, sie selbst wählt für sich andere Wege. Ihr ist im Umgang mit der Stute noch nichts aufgefallen, wo diese sich plötzlich anders Verhalten würde. Vielleicht liegt es an der Einstellung. Wenn man immer Dominanz- und Rangordnungsgedanken im Kopf hat und ein Pferd, das von deinem Charakter eher introvertiert ist, dann bietet das Pferd eher keine Übungen aus dem Trainingskontext mit einer anderen Person an. Ich achte aber zum Beispiel darauf, keine Targets aus dem Pferdealltag zu verwenden.

Für mich ist es spannend zu beobachten, wie aus einem Fass-mich-nicht-an-Pferd im laufe der Monate eine Stute wurde, die für ihr Leben gerne Körpertargets macht und sogar von sich aus Dinge anbietet. Die schon sehr gekonnt mit Kooperations- und Startsignalen umgeht und sich traut zu sagen, was sie nicht mag, anstatt alles megablöd zu finden.  :sigh:

Und trotzdem bin ich immer wieder in einem Zwiespalt. Wiehert sie mir entgegen, wenn ich komme? Zum Glück macht sie das bei der Besitzerin auch. Beißt sie beim Satteln? Hurra, ich pack dann mal meine Diplomatie aus und erkläre der Besitzerin, dass ich das eher nicht normal finde. (Inzwischen gibt es einen neuen Sattel.) Übe ich Hinterhandtargets? Ja, die Pirelli-Historie mit der Besitzerin ist so tief, dass sie das dort bestimmt nicht anbietet. (Dennoch habe ich bei dieser Übung besonders viel Zeit mit der Signalkontrolle verbracht.)

Vor kurzem kam ich an, es regnete seit Stunden, die Ohren der Criollodame waren quasi nicht zu sehen und sie hatte mal wieder gaaaar keine Lust auf irgendetwas. Ich habe mir Kekse und Bürsten geholt, mich in den Unterstand gesetzt und gewartet, da kam sie dann doch neugierig und griesgrämig zugleich vorbei. Putzen war blöd, Rücken angreifen sowieso, Bauch heben zu vergessen. Aber sie bot mir Kopfsenken an.
Gut, dann Kopfsenken.  :click:
"Kannst du Kopftargets?" - "Ja, kann ich."  :click:

"Kannst du am Wangentarget bleiben, wenn ich kurz mit der Bürste deinen Hals berühre?" - "Schwierig, aber ich kann das."  :click:

So haben ich mich mit ganz viel Kopftief und Targets langsam rund ums Pferd gearbeitet. Während diesen 15, 20 Minuten kamen die Ohren immer weiter vor, der Kopf sank entspannter zu Boden, sie schnaubte ab. Und plötzlich war da so viel Ruhe und Zuversicht in diesem Pferd. Da war mir wieder klar, warum ich so gerne mit ihr Zeit verbringe. Es geht nicht darum, was gestern war oder was morgen ist. Wenn ich einem Pferd jetzt gerade zeigen kann, dass es gut ist, wie es ist, dann habe ich meine Aufgabe erfüllt.
Liebe Grüße, Anna
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Re: Cross-over-Pferd ...
« Antwort #31 am: 26. November 2019, 23:38:04 »
Das Thema hier wird grad sehr interessant finde ich :)

Ich habe ja ewig nach einer passenden RB gesucht. Bisher hatten nämlich sehr viele Besis kein Verständnis dafür wenn ich gesagt habe: "ne, ich will nicht hart durchgreifen und ich will mich nicht so dominant verhalten."
(Anmerkung: muss mir natürlich auch selbst eingestehen dass ich bei Muli schon angefangen hatte mich sehr dominant und unfair zu verhalten. Habe es gerade noch rechtzeitig bemerkt und die Kurve gekratzt  :augenreib: )

Das ist bei den Besis von Muli ganz anders. Die verstehen mich und finden es gut wenn ich nicht so schnell aufgebe und immer wieder umdenke. Bei Muli haben auch andere Einsteller voll das Verständnis dafür wenn ich mit ihr "anders" arbeite. Ist halt kein Pferd, sondern ein Muli, kommt da dann immer :roll: Viele kleine Sachen, wie am Anbindeplatz ruhig stehen, sich von mir führen lassen, sich von der Weide holen lassen (hatten wir alles schon mal hingekriegt) wird von den Anderen sehr sehr gelobt. Die sind immer wieder erstaunt wie gut ich mit Muli kann (obwohl ich das selbst gar nicht so sehe) Muli geht nämlich auch nur mit den Besis mit oder zusammen in der Herde beim reinholen. Gestohlen werden kann sie nicht so leicht, das ist schon mal gut  :cheese:

Muli wird von den Besis ja grade nicht wirklich trainiert. Manchmal reitet sie jemand aus, aber viel mehr auch nicht. Daher kann ich gar nicht sagen wie die Besis mit ihr arbeiten würden. :nixweiss: Sie kann die Basics und ist wirklich ein sehr braves Muli, das muss ich echt sagen.

Also bei Muli sagen sowieso alle dass sie ihren eigenen Willen hat und es wird viel mehr angenommen als bei einem Pferd. Inzwischen konnte ich ganz gut nachfühlen was denn so der ominöse Unterschied zwischen Pferd und Muli ist. Sie sagt ja schon so deutlich nein dass man daran verzweifeln könnte. Sie nimmt sich ihr Mitspracherecht einfach und setzt das auch durch. Da kann man noch so sehr mit negativer Verstärkung arbeiten (hab ich ja gemacht, anfangs sehr fein, dann immer mit mehr Druck) Das hat sie NULL interessiert. Würden die Besis sehr stark negativ mit ihr gearbeitet haben müsste sie das doch dann auch bei mir machen ohne dass sie nein sagt oder?  :juck:

Ich hatte ja schon ein sehr einschneidendes Erlebnis mit ihr:
Ich bin mit ihr mal ein paar Schritte ins Gelände gegangen. Da war ich sehr stolz darauf dass sie mit mir mitgekommen ist. Irgendwann hat sie sich aber erschrocken, ist einmal nach vorne gesprungen und hat mich angestarrt. Ich hab da richtig falsch reagiert und wollte sofort wieder zum Stall (hab sie damit sozusagen bestätigt dass da wirkich ein böser Wolf ist!) Muli war natürlich schneller als ich und hat sich losgerissen bzw. ich hab gleich los gelassen. Ich dachte mir eigentlich dass sie bestimmt zur Weide zurück läuft, die nicht weit weg war. Aber nein, Muli hat auf mich an der nächsten Ecke gewartet und mich groß angeschaut. Da hatte ich den Eindruck dass sie nicht nur für sich denkt, sondern auch sicher gehen wollte dass ich nicht vom bösen Wolf gefressen wurde. Ein bisschen wie ein Esel der auf seine Menschen und Tiere aufpasst.

Ach Muli ist schon echt toll, :sigh: gerade eben weil sie so deutlich "sagt" was Sache ist. Ich denk mir halt gerade: Ich hab keine Zeit einem Pferd voll und ganz gerecht zu werden, daher kauf ich mir keines. Mit Muli würde dann entweder nicht viel gearbeitet werden oder aber ganz viele RBs würden sie sich an ihr versuchen und nach ein paar Wochen aufgeben. Vielleicht hätten die Gebirgsjäger noch Interesse an ihr, das perfekte Alter hätte sie ja. :panik: Seit 4 Monaten übe ich schon mit ihr das von der Weide holen (in ganz unterschiedlichen Arten und Weisen). Ich habe auf alle Fälle Interesse daran noch Jahre mit ihr zu verbringen.
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Re: Cross-over-Pferd ...
« Antwort #32 am: 09. Dezember 2019, 12:02:43 »
Vor kurzem kam ich an, es regnete seit Stunden, die Ohren der Criollodame waren quasi nicht zu sehen und sie hatte mal wieder gaaaar keine Lust auf irgendetwas. Ich habe mir Kekse und Bürsten geholt, mich in den Unterstand gesetzt und gewartet, da kam sie dann doch neugierig und griesgrämig zugleich vorbei. Putzen war blöd, Rücken angreifen sowieso, Bauch heben zu vergessen. Aber sie bot mir Kopfsenken an.
Gut, dann Kopfsenken.  :click:
"Kannst du Kopftargets?" - "Ja, kann ich."  :click:

"Kannst du am Wangentarget bleiben, wenn ich kurz mit der Bürste deinen Hals berühre?" - "Schwierig, aber ich kann das."  :click:

So haben ich mich mit ganz viel Kopftief und Targets langsam rund ums Pferd gearbeitet. Während diesen 15, 20 Minuten kamen die Ohren immer weiter vor, der Kopf sank entspannter zu Boden, sie schnaubte ab. Und plötzlich war da so viel Ruhe und Zuversicht in diesem Pferd. Da war mir wieder klar, warum ich so gerne mit ihr Zeit verbringe. Es geht nicht darum, was gestern war oder was morgen ist. Wenn ich einem Pferd jetzt gerade zeigen kann, dass es gut ist, wie es ist, dann habe ich meine Aufgabe erfüllt.

 :huepfherz:
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