Ich seh hier wirklich viele Parallelen zu meiner Stute.
Als ich sie kennengelernt habe war sie knapp 4, stand sie mit 2 weiteren Stuten zusammen in Eigenregie, 7/24 Weide (sehr groß für die drei). Sie fand Menschen total spannend - mit Abstand (2m). Wollte man näher ran, war sie weg, hatte man sie, hing man meistens im Halfter, hat man irgendwas gemacht was ihr unheimlich war, hat sie getreten. Mindestens 1x die Woche war sie irgendwo auf den Feldern unterwegs (aber der Zaun war in Ordnung). Clickern fand sie von Anfang an toll und hat das auch ganz super gemacht. Wenn jemand mit Futtereimer auf die Weide kam hat sie ihn angegriffen (angelegte Ohren, umkreiseln, abdrängen, drohen), um möglichst schnell an das Futter zu kommen.
Ich habe sie mit 4,5 Jahren übernommen, und wir haben den Stall gewechselt (nachts Box, gemischte Herde, auf dem Paddock immer Heu), seitdem haben wir noch mehrfach den Stall gewechselt - sie ist nie wieder durch oder über einen Zaun gegangen. Und das obwohl ich wirklich lange Phasen nicht mit ihr gearbeitet habe.
Ich glaube "Langeweile" ist immer ein tolles Label für ein Pferd was ausbricht, für mich ist es ein Zeichen dass diese Haltung für dieses Pferd nicht passt. Ein Pferd sollte in seiner Herde so "zuhause" sein, dass es bei der Herde bleibt. Ebenfalls wenn eine vierjährige Stute im Wachstum schon zu dick ist, dann ist die Haltung suboptimal.
Das erste halbe Jahr nach dem Kauf haben wir genau eins gemacht "kümmer dich um deinen eigenen Kram". Ich saß bei ihr am Paddock (außerhalb vom Zaun) und habe sie so lange ignoriert, wie sie am Zaun auf und ab ist und unbedingt was machen wollte. Ich habe abends bei ihr in der Box gesessen, und ihr beim Fressen zugesehen. Wir haben uns (frei) das Putzen erarbeitet - ohne Drohen und Treten. Das war nie etwas selbstverständliches. Ich bin auf dem Paddock zusammen mit ihr durch die Gegend gewandert (frei), und habe geclickt was mir gefällt. Das ganze Drohen und Treten hat sich mit der Zeit gegeben, weil es einfach keinen Grund mehr für sie gab, sich von mir bedroht zu fühlen. Heute merke ich, dass sie z.B. das Hinterbein anhebt, wenn ich mit der Peitsche zu viel Druck mache -> dann weiß ich dass ich zu viel gemacht habe, und mit diesem Kommunikationslevel kommen wir gut klar.
Zum Führen: Ich kann sie heute frei oder am durchhängenden Strick mit minimalen Signalen führen. Wenn sie entspannt ist. Wenn sie gestresst ist haben wir genau das was du bei der Stute beschreibst (außer dass meine Stute zum Glück nie ernsthaft gebissen hat). Inzwischen ist sie 8, bis vor einem Jahr hatten wir immer wieder mit Wachstumsschüben und kompletten Gleichgewichtsverlust von einem Tag auf den anderen zu tun. Und zwar wirklich so, dass gar nichts mehr ging. Rossezeit ist ebenfalls kritisch, da mag sie einfach keine Berührungen, egal wo.
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Jetzt zu dem was du schreibst.
1) Ich würde die Pausen so gestalten, dass ihr nicht weiterarbeitet wenn SIE sich anbietet, sondern dass du ihr ein weitermachen anbietest, wenn sie grade vollkommen entspannt etwas anderes macht. Damit sie lernt dass es nicht ihre Verantwortung ist, sich um die Bespaßung zu kümmern. Man sieht es auch an dem zur Weide bringen -> sie geht erst, wenn sie sicher ist, dass es nichts mehr zu holen gibt -> wie gestaltest du das Ende Signal? Hast du ein klares Zeichen dafür, oder ein Ritual? (Ich gehe mal davon aus, dass du eins hast). Welches ist es?
2) Wie AbbeyWood schon gesagt hat, manche Pferde sind so aufs Futter fixiert, dass sie weit über ihre eigenen "Überforderungs"grenzen gehen. Außerdem ist ein 4jähriges Pferd wie ein kleines Kind, und weiß nicht immer was gut für es ist. Sowohl das Beißen als auch das Treten sind entweder Zeichen von Überforderung/Stress/Schmerzen - oder eben antrainiertes Verhalten, weil der Mensch dann irgendwas an dem ändert was er tut. Das wird nicht unbedingt aus deinem Training resultieren, sondern aus dem was sie davor schon gelernt hat. Hier ist es ganz wichtig zu überlegen, welchen Zweck erfüllt das für sie? Was ist der Verstärker für das Verhalten? Distanz? Änderung der Anforderung? Evtl. musst du sie dafür auch mal im Kontakt mit ihrer Besitzerin beobachten (oder eben mit Stallpersonal o.ä., deswegen die Frage wer sonst noch mit ihr umgeht). Oder gibt es bei den Wallachbesitzerin welche, die ihr was geben wenn sie sie bedrängt?
3) Sie kann ja mit "höflichem" Abstand hinter dir laufen, nachdem es "geknallt" hat. Das ist das Thema mit Strafe, Verhalten ist erst mal unterdrückt. D.h. in dem Fall bleibt/blieb sie aus der Gefahrenzone. Die meisten Pferde die ich kenne (das möchte ich bei euch übers Internet gar nicht beurteilen) schleichen dann entweder vorsichtig hinterher, oder laufen mit einer wahnsinnigen Körperspannung, beides suboptimal. Weil dabei lernen sie nicht vernünftig und balanciert zu laufen. Mal davon abgesehen hab ich ein Pferd beim Führen immer gern neben mir, wo ich am Ohrenspiel und der Mimik schnell sehen kann wenn etwas los ist. Ich würd halt bei einem Pferd was eh schon null Impulskontrolle hat etc. nicht noch zusätzlich auf Konfrontationskurs gehen, weil das ist immer eine Abwärtsspirale.
Jetzt hab ich viel geschrieben und ziemlich weit ausgeholt, einfach fürs Verständnis wo ich her komm, und wo wir angefangen haben.
Die Stute hat es sicherlich gut dass du jetzt mit ihr arbeitest, denn du machst dir viele Gedanken, und was ihr macht klingt ja auch schon gut. Versuch dich trotzdem noch freier zu machen vom Gedanken, was sie tun muss, was sie nicht tun darf, was höflich ist, was Langeweile, und das Sachen die gestern gingen heute auch gehen müssen. Sondern guck wirklich auf sie, das was sie grade tut, was es angekündigt hat, wie du reagiert hast, und welchen Effekt das hatte.
Das Training würde ich an einen Ort verlegen, wo einfach keine Gefahr besteht getreten oder gebissen zu werden, und wenn das eine abgezäunte Ecke auf der Weide/dem Paddock ist. Und so lange die Grunderziehung so viele Baustellen hat, macht es wenig Sinn sie zu überspringen um an anderen Dingen zu arbeiten. Zum Longieren könntest du evtl. einen umgedrehten Longierzirkel bauen, also Pferd außen, dann Zaun, und dann du innen. So ist es viel einfacher Distanz zu erarbeiten.
Und der Besitzerin würde (ich) nahelegen, die Haltung zu hinterfragen. Vielleicht sind die Zäune auch einfach zu schlecht für so ein junges Pferd voller Tatendrang
Hat jemand schon mal beobachtet wann sie ausbricht? Nicht dass sie von den anderen mal über den Zaun gejagt wird.