Wobei ich hier teilweise schon rauslese, dass "so jemand wie ich", der also nie wirklich gerade auf dem Pferd sitzen können wird, das Reiten aus Pferdeschutzgründen dann doch besser aufgeben sollte (seeeehr überspitzt formuliert!).
Nein, aber vermutlich macht es Sinn, nicht unbedingt ein Pferd zu wählen, das ziemlich instabil und leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen ist (muß ja nicht ein Kaltblut sein, aber z. B. bei Isifreaks auch nicht gerade ein kleines und zartes Exemplar dieser Rasse).
Davon abgesehen finde ich es sinnvoll, für seine Pläne das geeignete Pferd zu wählen.
Das sehe ich genau anders rum. Wenn ich vorhabe, mir ein fünfjähriges, gut gebautes, gut bemuskeltes und schon ausgebildetes Pferd zu kaufen, dass ich dann zwischenzeitlich immer wieder vom Profi bereiten lasse und es zwischen 10 und 12 Jahren dann eh wieder abgeben will - dann machts auch nicht so viel aus, wenn ich im Sitz mal fest bin. Außer vielleicht, dass ich auf dem Turnier keinen so super Mitteltrab reiten kann und vielleicht eine 6,1 anstatt eine 6,8 von den Richtern bekomme.
Wenn ich aber nun Freizeitreiter bin, mein Pferd vielleicht selbst aufziehe, es ab vierjährig bis mindestens 25 reiten will, damit viele Stunden lang im Gelände verbringe, wo ich es nicht ständig in den Hilfen eingespannt habe, vielleicht noch Wander- oder Distanzritte machen will, dann ist ein guter Sitz des Reiter für die Lebensqualität des Pferdes von noch viel entscheidender Bedeutung.
Gut gebaut macht doch wohl auch und gerade für Freizeitreiter Sinn. Gute Ausbildung wohl auch. Und entsprechende >innere Werte<.
Insgesamt habe ich oft den Eindruck, daß Pferde heutzutage mit weniger Ausbildung und mehr Freiheit besser laufen würden.
Irgendwie hat >der Reiter formt das Pferd< anscheinend eine sehr manuelle Bedeutung bekommen. Das entsprechende Körperteil des Tieres wird eben in die entsprechende Position gebracht, und irgendwann wird Pferd kapieren, daß es dort hin soll und es so nur zu seinem Besten ist. Nur zwickt und zwackt es bei nicht perfekter Vorbereitung eben, und es kommt zu Verspannungen. Überhaupt entwickelt sich der Reitsport immer mehr zu einer Indoor-Sportart.
Gymnastizierung und Biegeübungen sind sicher günstig und förderlich für ein Pferd, aber alles mit Maß und Ziel. Wenn es dann nur mehr ans Kringeln und prinzipiell nicht mehr geradeaus geht....
Auch wird (klassische) Dressur auf höherem Niveau immer mehr als Basis jedes Reitens betrachtet (ob die Viecher auch im Gelände reitbar sind, wird tw. nebensächlich). Eine weitgehend perfekte Allroundausbildung ist für Freizeitreiter (die, die ihr Geld anderswie verdienen müssen) zeitlich fast nicht machbar, also müssen irgendwie Prioritäten gesetzt werden. Eine Möglichkeit, neben Gymnastizierung (möglichst auf höchstem Niveau) auch noch andere Dinge zu machen, die manchen Leuten einfach viel mehr Spaß machen, ist, einfach mehr in weniger Zeit reinzupressen, einfach mehr Druck zu machen, daß die Übungen sitzen.
Das ursprüngliche Ziel, mit Pferden entweder sicher und einigermaßen von A nach B zu kommen oder mit ihnen seine Arbeit zu erledigen (z. B. Rinderarbeit, Feld- oder Waldarbeit) ist heute nur mehr selten gegeben. Ich denke, daß für diese Ziele Klassische Dressur auch nicht der richtige Weg ist (einfache Biegeübungen und das Pferd nicht einfach nur rumlatschen zu lassen, das fällt für mich eigentlich noch nicht unter Klassische Dressur, sondern einfach unter Basics). Um Bergsteiger zu werden, braucht man ja auch keine Ballettausbildung (aber sinnvollerweise eine gute Beweglichkeit und Muskeln).
Irgendwie gewinne ich den Eindruck, daß das Erlernen einer Piaffe für das moderne Freizeitpferd schon zu den Mindestanforderungen gehört, obwohl die Übung doch an sich, genauso wie fliegende Serienwechsel, an sich ziemlich sinnlos ist. Ausnahme: es macht Mensch einfach Spaß, dies zu trainieren, so wie es anderen Menschen Spaß macht, Tricktraining zu machen, Wanderritte (mit Auto oder Bahn könnte man das Ziel üblicherweise schneller und bequemer erreichen), Distanzritte (ditto)...
Ich habe auch den Eindruck, daß die Vielseitigkeit auf der Strecke bleibt (nicht daß jeder alles machen muß, aber das jeder viele Möglichkeiten sieht und sich die passende(n) raussuchen kann), die Zuchtauswahlkriterien oft fragwürdig sind (nicht nur bei Warmblütern) und zu wenig gefragt wird, wie das Ziel >körperliche Fitness (inkl. Beweglichkeit) je nach Disziplin auf verschiedene Arten erreicht werden kann. Und ich habe auch den Eindruck, daß viele Leute, die eben nicht Dressur reiten wollen, mangels geeigneter Möglichkeiten, einigermaßen einfach diesbezügliche Infos und Ausbildung zu kriegen, das Handtuch werfen und wirklich nur mehr irgendwie rumgurken.
Sorry wenn ich etwas gefrustet bin. Ich versuche gerade (mal wieder), auch mehr Literatur zu Reitweisen anderswo zu finden. Niente. 100 Reitbücher, die dasselbe zeigen, vermutlich tw. voneinander abgeschrieben, und modernerweise auch extrem viele Pferde am strammen Zügel mit der Nase mehr oder weniger deutlich hinter der Senkrechten. Halsmuskulatur als Priorität, wobei auch viele Pferde mit >schönem< Hals massive Rückenprobleme haben (wobei Hals natürlich gut zu erkennen ist), oft Optik vor Funktionalität (wobei Optik auch Geschmackssache ist).
Biomechanik als neues Modewort, wobei anscheinend das Mechanische im Vordergrund steht, und m. E. durchaus nicht immer zum Vorteil der Pferde.
Irgendwie gibt es eine riesige Informationsflut, aber irres Chaos dabei. Gefühl und Individualität gehen verloren, die vorherige Überlegung und die Beobachtung der Reaktion fehlt häufig.
So, jetzt habe ich mir einiges von der Seele geschrieben.
Heute ziemlich gemischte Grüße
Carola